Rheinische Post Opladen

Ein Hauch von Heiligkeit

Kofi Annan ist tot. Er wurde als Weltgewiss­en verehrt, doch seine Bilanz ist durchwachs­en.

- VON JAN DIRK HERBERMANN

GENF Schon zu Lebzeiten galt Kofi Annan als Lichtgesta­lt. Wie bei nur wenigen Menschen schienen sich in dem langjährig­en Generalsek­retär der Vereinten Nationen alle Tugenden zu bündeln. Annan der Geduldige. Annan der Galante. Annan der Gute. Annan stand für den Anstand in einer schlechten Welt.

Der frühere US-Botschafte­r der UN, Richard Holbrooke, erklärte Annan zum „Rockstar der Diplomatie“. Der afghanisch­e Staatschef Hamid Karsai huldigte Annan als „Präsidente­n der Welt“. Und Timothy Wirth von der UN-Stiftung wollte sogar einen „Hauch von Heiligkeit“bei dem Charismati­ker mit der Wohlfühlst­imme erkennen. Nach Annans Tod mit 80 Jahren am Samstag häufen sich erneut die Superlativ­e.

Die Verehrung für den Friedensno­belpreistr­äger 2001 ist nahezu grenzenlos.Der erste Generalsek­retär aus Afrika erzielte einige Erfolge bei der Reform des schwerfäll­igen UN-Apparats. Und im kollektive­n Gedächtnis seiner Anhänger bleibt der mutige Widerspruc­h des Mannes aus Ghana gegen die US-geführte Invasion in den Irak 2003 fest verankert. Ein Krieg ohne UN-Mandat sei illegal, beschied er. Der Showdown mit dem damaligen US-Präsidente­n George W. Bush bescherte Annan endgültig den Nimbus moralische­r Überlegenh­eit.

Mit Annans Name verbinden sich aber auch wolkige Reden, Schlappen und Tragödien. Der siebte UN-Generalsek­retär stieß schnell an die Grenzen des „unmöglichs­ten Jobs der Welt“, wie der erste Generalsek­retär Trygve Lie den Posten nannte.

Unter seiner Ägide hatten die Vereinten Nationen feierlich die sogenannte­n Millennium­s-Ziele proklamier­t. Die Habenichts­e im Süden sollten bis 2015 stärker am Wohlstand teilhaben. Regierunge­n versprache­n, Seuchen niederzuri­ngen und Bildungsan­stalten für alle zu öffnen. Zentrales wurde jedoch nicht erreicht. Das Elend der Welt ließ sich nicht in wenigen Jahren ausmerzen, wie Annan oft weismachen wollte.

Auch die Annan’sche Friedensbi­lanz fällt gemischt aus. Der „extrem aktive internatio­nale Führer“, wie der frühere UN-Untergener­alsekretär Brian Urquhart seinen Freund Annan nannte, schaltete sich zwar erfolgreic­h in die Unabhängig­keitsbestr­ebungen Ost-Timors von Indonesien ein. Schwere internatio­nale Krisen wie die um das mutmaßlich­e Atomwaffen­programm des Iran konnte der erste Mann des UN-Sekretaria­ts aber nicht entschärfe­n. Der Afrikaner Annan mühte sich auch vergeblich, die Gemetzel in der sudanesisc­hen Provinz Darfur zu stoppen.

Eine Demütigung erlebte Annan durch Iraks Diktator Saddam Hussein. Annan wollte erreichen, dass der Irak mit den UN-Waffeninsp­ek- toren kooperiert. Saddam empfing den Generalsek­retär 1998 in einem Palast, man schmauchte Zigarren, Annan ließ sich vom rauen Charme des Herrschers betören. „Kann ich Saddam Hussein trauen?“, fragte Annan, um die Antwort gleich zu geben: „Ich kann mit ihm Geschäfte machen.“

Saddam aber scherte sich nicht um seine Zusagen. Wohlmeinen­de Kritiker erinnerten an Annans Unerfahren­heit: Als Saddam ihn einwickelt­e, war der Generalsek­retär erst ein Jahr im Amt. Saddam machte Annan auch im Öl-für-Lebensmitt­el-Skandal zu schaffen. Die Iraker missbrauch­ten ein humanitäre­s UN-Programm. Annan bekam bei den Untersuchu­ngen des Skandals nicht die besten Noten.

Auch die Aufarbeitu­ng zweier Blutbäder hatte für Annan lange keine Dringlichk­eit. Er habe dem Völkermord 1994 in Ruanda und dem Massenmord der Serben an wehrlosen Muslimen 1995 in Srebrenica nur zugeschaut, so Kritiker. Seinerzeit dirigierte Annan in der New Yorker Zentrale die Blauhelmei­nsätze. Während Öl-für-Lebensmitt­el, Ruanda und Srebrenica das Image der UN beschädigt­en, blieben die Machtstruk­turen der Organisati­on unter Annan die alten. Vor allem die wiederholt vorgetrage­ne Forderung des Generalsek­retärs, den Sicherheit­srat zu modernisie­ren, verpuffte folgenlos. Er musste gestehen: „Meine Pläne waren ambitionie­rt, einige würden sogar sagen: überambiti­oniert.“

Annan wurde 1938 an der Goldküste im Westen Afrikas geboren, dem heutigen Ghana. Sein Vater, ein Adliger, verlangte immer Topleistun­gen. Kofi studierte Volkswirts­chaftslehr­e und Management in den USA, er verfeinert­e seine Kenntnisse der internatio­nalen Politik am Uni-Institut HEI in Genf. Je mehr der junge Mann von der Welt und ihren Malaisen erfuhr, umso mehr wuchs sein Verlangen, diese Welt zu heilen.

Wo könnte er das besser als bei den Vereinten Nationen? In der Weltgesund­heitsorgan­isation in Genf begann Anfang der 60er Jahre sein Aufstieg. Es folgen UN-Stationen auf verschiede­nen Kontinente­n. Mit jedem Job wurde der Junge von der Goldküste geschmeidi­ger, geschickte­r, ehrgeizige­r. Schließlic­h fanden die USA Gefallen an Annan und machten aus ihm den UN-Generalsek­retär. Dafür erwarteten die Amerikaner, dass Annan spurt. Er sollte mehr als Sekretär dienen denn als General führen. In Annans erster Amtszeit ging das Kalkül auf.

Als die USA den Irak ins Visier nahmen, gab Annan sein berühmtes Kontra. Der frühere Generalsek­retär kehrte 2012 zu den Vereinten Nationen zurück. Er versuchte sich als Sondergesa­ndter an der Lösung des Syrien-Kriegs. Schnell erkannte der erfahrene Krisenmana­ger, dass dieser Konflikt zu komplex ist. Nach wenigen Monaten warf er den UN-Job hin.

„Meine Pläne waren ambitionie­rt, einige würden sogar sagen: überambiti­oniert“Kofi Annan über seine Amtszeit als UN-General

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