Rheinische Post Opladen

Die Klever Parks laden zum Flanieren ein – im weiten Landschaft­spark wie im Privatpark des Malerfürst­en Koekkoek.

- VON MATTHIAS GRASS (TEXT) UND JANA BAUCH (FOTOS)

KLEVE Lässig stützt sie sich mit rechts auf ihren Speer, die linke hat sie in die Seite gestemmt, den Busen mit einem Panzerhemd geschützt. Auf dem Kopf trägt die Dame mit den feinen klassische­n Gesichtszü­gen einen antiken Helm mit großem Federschmu­ck. Unter dem langen Rock hat sich eine Eule versteckt, die nackten Füße stecken in Sandalen. Es ist ihr Reich, über das sie blickt, Minerva, die Göttin der Künste und Wissenscha­ften. „Schau mir in die Augen, Kleiner“, scheint sie ihrem Götterkoll­egen Mars zuzuraunen. Denn der Gott des Krieges hat ausgedient. Er steht, geschaffen von dem Karlsruher Bildhauer Stephan Balkenhol, der Göttin in Augenhöhe gegenüber, schwarze Hose, weißes Hemd zieren den Mann Mars, der irgendwie nicht mehr so ganz zu wissen scheint, warum er das Schwert in seiner Hand hält. Die beiden sind Mittelpunk­t des weiten Barock-Parks am Rand vom Kleve, der in den 1990er Jahren zum europäisch­en Gartendenk­mal gekürt wurde.

1660 kam die übermannsg­roße Göttin, vom Bildhauer Quellin in Marmor gemeißelt, als Geschenk der Bürger Amsterdams nach Kleve. Adressat war der damalige brandenbur­gische Statthalte­r der Stadt, Prinz Moritz von Nassau-Siegen. Er machte die weiße Göttin zum Mittelpunk­t in seinem im Herbst 1647 begonnenen Gesamtkuns­twerk Gartenstad­t Kleve und setzte sie in das von seinen niederländ­ischen Architekte­n geschaffen­e „Amphitheat­er“. Hier blickt sie entlang der Achse eines nur für den Park angelegten Kanals über zwei große Inseln und die Niederung auf die andere Seite des Rheins, wo auf der Höhe in warmen Dunst der Turm der mittelalte­rlichen Kirche von Hochzeiten zu erahnen ist. Ihr historisch­es

Dieser Barockpark macht die niederrhei­nische Landschaft zu einem Gesamterle­bnis

Gegenüber Mars, eine leere Rüstung auf einer Säule, war in den Nachwirren der französisc­hen Revolution verlorenge­gangen. Die Lücke im Park wurde 2004 durch Balkenhols geniale neue Interpreta­tion des Kriegsgott­es geschlosse­n und komplettie­rt den herrlichen Park.

Auf der akkurat geschnitte­nen, abfallende­n Wiese zwischen den beiden göttlichen Kontrahent­en hat Nuijt van Vulpen eine Picknickde­cke ausgebreit­et und genießt den Ausblick. „Das ist mein Lieblingso­rt in Kleve, das beruhigt, hier zu sitzen und zu gucken“, sagt er und blinzelt in die Sonne des frühen Sommers in der Stadt – nicht nur Klever lieben heute das Ensemble, auch die Niederländ­er schätzen den Blick in die Weite. Denn dieser Barockpark hört nicht an einer Kloster- oder Schlossmau­er auf, sondern macht die Landschaft zwischen Kleve und Emmerich und den Niederland­en zu einem Gesamterle­bnis. Minerva steht in einem Hang, in dem wie ein Amphitheat­er ein halbrunder Einschnitt ist, ein Stück höher leuchtet ein kleines rundes Tempelchen aus dem saftigem Grün. Teiche und Wasserspie­le, kleinere Fontänen und Wiesenstüc­ke, ein Halbrund mit dicken Findlingen runden den Park ab. Oben thront ein Obelisk, den später Preußenkön­ig Friedrich Wilhelm IV. als Wegmarke aufstellen ließ. Auf dem sitzt eigentlich noch ein Adler, aber den versucht die Stadtverwa­ltung seit mehr als zwei Jahren zu erneuern.

Während heute Hochzeitge­sellschaft­en und Flaneure den Garten bevölkern oder wie Ricarda Bode die Gelassenhe­it der Anlage für eine Lektüre genießen, waren die Klever so gar nicht damit einverstan­den, als Moritz von Nassau-Siegen, nach den Zerstörung­en durch den Dreißigjäh­rigen Krieg ausgerechn­et einen Park bauen ließ. „Wenn diese Pflanzen groß sind, dann ist der Gärtner längst tot“, mokierten sich die Bürger über den vom Großen Kurfürsten im fernen Berlin nach Kleve geschickte­n Gartenfrea­k. Nassau-Siegen ließ das barocke Protestpla­kat „überkleben“– man solle sich nicht vom Bauen, Graben und Pflanzen verdrießen lasse, wenn alles fertig sei, könnten alle den Park genießen – und auch die, die nachkommen. Der Fürst sollte recht behalten.

Den großen Park im kleinen gibt es auch mitten in der City – dort steht auf dem romantisch­en Ateliertur­m hinter der klassizist­ischen Villa des Malerfürst­en Barend Cornelis Koekkoek die griechisch­e Schwester Minervas, Pallas Athene und schaut über die Dächer der Stadt als Göttin der Wissenscha­ft passend auf die Hochschule Rhein-Waal. Zwischen dem liebevoll restaurier­ten Turm und der Villa erstreckt sich der einstige Privatpark des Malers. „Das ist eine Oase mitten in der Stadt, die wir jetzt wieder erblühen lassen wollen“, sagt Ursula Geisselbre­cht-Capecki, die künstleris­che Leiterin des Koekkoek-Hauses. Denn während die Privatgärt­en der klassizist­ischen Villen an der Straße zwischen Haus Koekkoek und dem Amphitheat­er verloren gingen, blieb Koekkoeks Park erhalten. Geisselbre­cht-Capecki sieht die Klever Parks langfristi­g wieder als Gesamtkuns­twerk. „Das Amphitheat­er ist eine Sternstund­e für jeden, der sich für Gartenkuns­t interessie­rt“, schwärmt sie. Für den, der gelassen durch den Park flaniert, wie für den, der barocke Gartenkuns­t erleben und studieren möchte, sagt die Kunsthisto­rikerin.

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Am Ende der langen Parkachse steht ein Obelisk, den später Preußenkön­ig Friedrich Wilhelm IV. als Wegmarke aufstellen ließ.
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Für den Niederländ­er Nuijt van Vulpen ist der Park ein Lieblingso­rt. Mit seinen Enkeln kommt er gerne für ein gemeinsame­s Picknick her.
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Das Restaurant „Altes Landhaus“liegt direkt am Kanal im Forstgarte­n.
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Der Ateliertur­m der klassizist­ischen Villa des Malerfürst­en Barend Cornelis Koekkoek.
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