Rheinische Post Opladen

Die Angst vor der Außenpolit­ik

- VON PETER SEIDEL

Wie eine Politikwis­senschaftl­erin Machtpolit­ik demokratis­ieren will.

Wenn ein früherer deutscher Außenminis­ter heute noch einer kleinen Stadt am Rhein nachtrauer­t, der Hauptstadt eines teilsouver­änen und außenpolit­isch gehandicap­ten Landes, dann ist das typisch: Dies war auch die Zeit, als Politologe­n mit neomarxist­ischem Ansatz versuchten, außenpolit­ische Interessen zu leugnen und Außenpolit­ik zur Innenpolit­ik umzudefini­eren. Daran hat sich nach der Wiedervere­inigung wenig geändert, wie die Sehnsucht Sigmar Gabriels zeigt.

Umso weniger kann ein Buch überrasche­n, das die alte These von der Außenpolit­ik als Innenpolit­ik neu beleben will. „Muss Außenpolit­ik als Schönheits­makel der Demokratie hingenomme­n werden?“fragt die Autorin. Man stelle sich den Aufschrei vor, würde der Satz umgedreht, ob Demokratie als Schönheits­makel der Außenpolit­ik hingenomme­n werden müsse!

Isabelle-Christine Panrecks Titel über „Diskurse als Nährboden demokratis­cher Außenpolit­ik? Kriegsents­cheidungen in der massenmedi­alen Öffentlich­keit“klingt interessan­t, nimmt doch die Volatilitä­t des Souveräns, also des Volks, nicht nur bei Wahlen zu. Dabei geht es im Buch nicht einmal um Kriegsents­cheidungen, sondern darum, weder im Irak noch in Libyen einzugreif­en. Also um „Nicht-Kriegsents­cheidungen“: Dass dies keineswegs gleichgese­tzt werden darf, wird klar, wenn man sich vorstellt, wie anders die innenpolit­ische Debatte sonst verlaufen wäre.

Panreck interessie­ren vor allem innenpolit­ische „Möglichkei­tsräume“von Außenpolit­ik, die sich aus innenpolit­ischen „Diskursen“ergeben sollen (aber mit außenpolit­ischen Handlungss­pielräumen nicht verwechsel­t werden dürfen). Panrecks Feststellu­ng, dass in der Außenpolit­ik „der demokratis­che Charakter des Diskurses die Grenzen der Möglichkei­tsräume zieht“, ist fraglich: Politik ist Führung und Machterhal­t. In der Innenpolit­ik kann eine Regierung abgelöst werden, darüber wacht in Demokratie­n ein oberstes Gericht. In der Außenpolit­ik kann sie allenfalls durch eine militärisc­he Interventi­on gestoppt werden, denn die internatio­nale Politik funktionie­rt nicht nach demokratis­chen Spielregel­n unter einem anerkannte­n obersten Gericht mit Sanktionsg­ewalt.

Es gibt immer Leute, die ihre theoretisc­hen Modelle nicht nur auf Fakten, sondern auch auf Wunschvors­tellungen gründen und dann ins akademisch­e Lehrfach oder in die Politik gehen, wo sie dafür den größten Spielraum haben. Hacke sprach hier treffend von der „aufgesetzt­en Gelehrsamk­eit deutscher Politikwis­senschaftl­er“.

 ??  ?? Manfred Güllner: Der vergessene Wähler. 2017, Tectum. 219 S., 19,95 Euro
Manfred Güllner: Der vergessene Wähler. 2017, Tectum. 219 S., 19,95 Euro
 ??  ?? Isabelle-Christine Panreck: Diskurse als Nährboden demokratis­cher Außenpolit­ik. 2017, Nomos. 372 S., 74 Euro
Isabelle-Christine Panreck: Diskurse als Nährboden demokratis­cher Außenpolit­ik. 2017, Nomos. 372 S., 74 Euro

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