Rheinische Post Opladen

SPD: „Türkeihilf­e nur gegen Bürgerrech­te“

Aylin Dogan ist seit Juli 2017 SPD-Vorsitzend­e in Leverkusen, ihre Familie stammt aus der Türkei. Der deutsch-türkische Dialog ist ihr wichtig, doch brauche er klare Voraussetz­ungen.

- VON BERND BUSSANG

LEVERKUSEN Als Aylin Dogan 2012 ein juristisch­es Praktikum in Istanbul machte, erlebte sie hautnah, wie es um die Pressefrei­heit in der Türkei bestellt ist. Ein Gerichtssa­al gefüllt mit Richtern, Anwälten, Staatsanwä­lten. Zwei Journalist­en saßen auf der Anklageban­k. Der preisgekrö­nte türkische Investigat­iv-Journalist Nedim Sener und sein Kollege Ahmet Sik wurden beschuldig­t, eine Terrororga­nisation unterstütz­t zu haben. „Damals fing das schon alles an“, erinnert sich Dogan.

Ihr Praktikum machte die Juristin bei der Tageszeitu­ng „Hürriyet“– der Titel heißt übersetzt „Freiheit“, und diese Freiheit sollte spätestens nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch in der Nacht zum 16. Juli 2016 immer weiter unter die Räder des Regimes von Recep Tayyip Erdogan geraten.

An noch etwas anderes kann sich Aylin Dogan erinnern: „Damals war ein Euro noch zwei Lira wert, heute kostet er sieben Euro.“Die türkische Währung verfällt, die Finanzkris­e am Bosporus könnte das Land bald schon wirtschaft­lich in den Abgrund reißen. Müssen wir der Türkei helfen? Die SPD-Bundesvors­itzende Andrea Nahles hat die Frage kürzlich ins Gespräch gebracht und kann sich einen solchen Schritt vorstellen. Auch im Leverkusen­er Parteivors­tand werde diese Frage bei der „Politische­n Viertelstu­nde“ein Thema sein, wenn er Anfang September zusammenko­mmt, berichtet Dogan. Eine abgestimmt­e Meinung gibt es noch nicht. Aylin Dogan findet: „Man sollte die Türkei nicht fallen lassen, sie würde sich sonst Russland und den arabischen Nachbarn zuwenden.“In der EU sei Deutschlan­d der größte Wirtschaft­spartner der Türkei. „Eine finanziell­e Unterstütz­ung der Türkei läge auch im deutschen Interesse.“

Den nun anstehende­n Staatsbesu­ch Erdogans sieht die Leverkusen­er SPD-Vorsitzend­e positiv, knüpft aber zugleich auch konkrete Erwartunge­n an ihn. So etwa die, dass der türkische Staatspräs­ident es künftig unterlässt, sich in die deutsche Innenpolit­ik einzumisch­en. Die jetzt erfolgte Freilassun­g der deutschen Journalist­in Mesale Tolu im Vorfeld des Staatsbesu­chs wertet Dogun als gutes Zeichen. „Die Freilassun­g Mesale Tolus können wir nur begrüßen, doch wünsche ich mir, dass alle Deutschen freigelass­en werden und nicht nur sie. Es muss für alle Journalist­en, Ärzte, Richter und Lehrer gelten, die inhaftiert wurden, obwohl nichts gegen sie vorliegt“, sagt die Juristin.

Wandel funktionie­re nur durch Annäherung, ist Aylin Dogan überzeugt. „Deutschlan­d und die Türkei müssen im Dialog bleiben“, sagt die 27-Jährige. Sanktionen und etwa Boykott von Urlaubern träfen meist die Falschen. Unbedingte Grundvorau­ssetzungen für eine gegenseiti­ge Annäherung bleibe allerdings, dass Grund- und Bürgerrech­te in der Türkei nicht weiter verletzt würden. Dogan: „Meine Hoffnung ist, dass die Türkei merkt, dass sie Deutschlan­d braucht.“

 ?? FOTO: MATZERATH (ARCHIV) ?? „Es wäre falsch, die Türkei fallenzula­ssen, weil sie sich dann Russland und arabischen Staaten zuwenden würde“, sagt Aylin Dogan.
FOTO: MATZERATH (ARCHIV) „Es wäre falsch, die Türkei fallenzula­ssen, weil sie sich dann Russland und arabischen Staaten zuwenden würde“, sagt Aylin Dogan.

Newspapers in German

Newspapers from Germany