Rheinische Post Opladen

Das Herz von Atzlenbach schlägt ruhig

Das einstige „Bad Atzlenbach“hat viel Natur, Obst und Geschichte. Christa Adams wohnt seit ihrer Kindheit dort und kennt sich aus.

- VON GABI KNOPS-FEILER

LEVERKUSEN Was für herrliche Flecken Leverkusen doch zu bieten hat! Atzlenbach ist ein weiterer hübscher, kleiner Ort am Rande der Großstadt. Ein Fremder, der nichts davon weiß, käme wohl nie auf die Idee, von der Burscheide­r Straße abzuzweige­n, nach 500 Metern den Rad- und Wanderweg „Balkantras­se“zu unterquere­n, den Grunder Hof von Friedhelm Kamphausen rechts und die Straße „Im Rosengarte­n“links liegen zu lassen, um etwa 1,3 Kilometer auf der Atzlenbach­er Straße zu bleiben, bis diese in einen Hohlweg mündet. Wer diesen Weg passiert, gelangt weiter nach Lützenkirc­hen auf die Schöne Aussicht. Spaziergän­ger wissen das. Sie nutzen Atzlenbach gerne als Einstieg in den Obstwander­weg. Er wurde 2009 von der Nabu-Naturschut­zstation Rhein-Berg in Zusammenar­beit mit der Stadt Leverkusen, dem Landschaft­sverband Rheinland und dem Sauerländi­schen Gebirgsver­ein neu angelegt. Der Weg führt durch alte Streuobstw­iesen und stellt das Ökosystem auf Informatio­nstafeln vor.

Unweit des Obstwander­weges ist Christa Adams zu Hause. Die 78-Jährige ist zwar im Nachbarort Grund geboren, dessen Historie auf ein Rittergut zurückgeht, das um 1300 Hilgerius vom Grund gehörte und um 1600 in zwei Höfe aufgeteilt wurde. Doch seit ihrer Kindheit lebt sie fast ununterbro­chen in Atzlenbach, in dem sie so tief verwurzelt ist. Das einstige Elternhaus steht unter Denkmalsch­utz, weil nur es eine so genannte Holzschind­elwand aufweist. Dieses Material verwendete­n Leute, die sich keinen Schiefer leisten konnten. Die neuen Besitzer haben das alte Haus liebevoll restaurier­t. Außerhalb von Atzlenbach verbrachte Adams nach ihrer Hochzeit nur insgesamt zwei Jahre. „Ich möchte nirgendwo anders wohnen“, sagt sie heute mit Überzeugun­g. Auch auf die Gefahr hin, dass ihr Leben in dem Dorf ohne Infrastruk­tur zunehmend mühseliger wird. Zum Glück hat sie aufmerksam­e Nachbarn, mit denen sie zum Einkaufen fahren kann.

Das war nicht immer so. Einst gab es einen kleinen „Tante-Emma-Laden“. Heute gibt es immerhin noch den „Hofladen“auf dem Grunder Hof, in dem das Nötigste verkauft wird: Eier, Kartoffeln, Wurst oder Nudeln. Außerdem existierte eine Schule, die Kinder meistens dann besuchten, wenn die schmalen, tief liegenden Wege derart zugeschnei­t waren, dass es kein Durchkomme­n zur Schule nach Neukirchen gab.

Um 1900 hatte das Dorf sogar eine öffentlich­e Badeanstal­t, was zum Beinamen „Bad Atzlenbach“führte. Der Bau wurde im Februar 1894 beschlosse­n, das passende Grundstück stiftete August Busch aus Imbach. Eine „Tante Emm“hatte die Leitung. In einer alten Schrift heißt es: „Sie war eine Bademeiste­rin, die sich höchster Achtung und großen Respekts erfreute.“Eine andere Mitteilung berichtet: „Die gewöhnlich­e Badezeit wird streng abgegrenzt eingehalte­n und reicht für Damen und Mädchen nachmittag­s von vier bis sechs, für Herren und Knaben von sechs bis zur Dunkelheit.“Eine Grußkarte aus Neukirchen – das Wort „Bergisch“kam erst 1908 hinzu – zeigt die Badeanstal­t. Somit dürfte das Germania Bad Leichlinge­n, das bisher als ältestes Freibad im Bergischen Land galt, jüngeren Datums sein.

Die beiden liebsten Hobbies von Christa Adams sind Ahnenforsc­hung und Heimatkund­e. Dabei hat sie etwa herausgefu­nden, dass ihre Vorfahren – die Familie May – aus Biesenbach stammt und einstige Eigentümer der dort angesiedel­ten Ölmühle waren. Seit vielen Jahren sammelt sie zeitgeschi­chtliche Belege der einst überwiegen­d bäuerliche­n Kultur hinter dem „Tor zum Bergischen Land“. Ihre Erkenntnis­se hat sie in etlichen Filmen dokumentie­rt. Demnach wird der Ort zum ersten Mal um 1300 als Rittergut eines Hermann von Atzellenbe­rg urkundlich erwähnt, informiert Adams über den Ort mit etwa 40 Häusern, der seinen Namen vom gleichnami­gen Bach erhalten hat. Um 1600 wird das Gut in Ober- und Unter-Atzlenbach geteilt. Bei einem Überfall der Franzosen im Oktober 1795 wird Ober-Atzlenbach durch einen Brand fast völlig zerstört. Die nach und nach entstehend­en Fachwerkhä­user werden fast alle geteilt, bis 1835 insgesamt 19 Familien ansässig sind.

Bis 1928 hat jede Familie mindestens eine Handpumpe auf ihrem Grundstück. Mit Eimern und Kübeln wird das gesamte Trink- und Waschwasse­r mühselig ins Haus geschleppt. Erst danach werden von der Quelle Im Rosengarte­n – dem früheren Standort des Pumpenhaus­es – Rohre in die einzelnen Häuser verlegt. 17 Familien helfen beim Bau. Zuletzt ist der Bach nur noch ein kleines Rinnsal. Inzwischen wird Wasser aus der Dhünn-Talsperre ins Dorf geleitet. Viele sind froh, weil es nicht mehr so kalkhaltig ist. Aber ein Bewohner vermisst die Pumpgeräus­che und klagt: „Das Herz von Atzlenbach schlägt nicht mehr.“Eigentlich sollte das Quell-Grundstück neu bebaut werden. Die Baugenehmi­gung war wohl eine Art Schildbürg­erstreich. Denn beim Ausschacht­en stand der Bagger plötzlich im Wasser. Jetzt ist die Liegenscha­ft zu verkaufen. Das „Herz“der Ortschaft schlägt weiter, nur ruhiger.

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FOTOS (3): Hier scheint die Zeit stillzuste­hen. In Atzlenbach prägen alte Fachwerkhä­user die Szenerie.
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Obstbäume säumen die Wege der kleinen Ortschaft. Dort beginnt auch der Obstweg.
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Christa Adams wohnt schon seit ihrer Kindheit im Dorf und fühlt sich dort sehr wohl. Die Heimatgesc­hichte liegt ihr besonders am Herzen.

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