Rheinische Post Opladen

Muss immer einer Schuld haben?

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Das Unglück in Saint Julien de Peyrolas hat bei mir tiefe Betroffenh­eit ausgelöst. Natürlich bezieht sich diese darauf, dass die Jungen, Mädchen und Betreuer einen Teil ihres Hab und Guts verloren haben, schrecklic­he Momente der Angst und manche auch körperlich­e Schmerzen ertragen mussten. In erster Linie rührt sie jedoch daher, dass für die Angehörige­n und Freunde des ums Leben gekommenen Betreuers das Schlimmste eingetrete­n ist. Weltweit kommt es seit Jahren vermehrt zu Bränden, Überschwem­mungen, Erdrutsche­n und anderen Katastroph­en. Diese mit Genauigkei­t vorherzusa­gen ist schlichtwe­g nicht möglich. Da ich an dem Tag der Katastroph­e nicht dabei war, kann ich nicht sagen, ob Fehler gemacht wurden. Erfahrungs­gemäß kann man davon ausgehen, dass nicht alles reibungslo­s ablief. Die Verantwort­lichen haben über Jahrzehnte etwas Wundervoll­es für unsere Kinder aufgebaut. Sie haben ihnen ein Stück Freiheit und Kindheit geschenkt. Viele Kinder fuhren zum wiederholt­en Male mit. Auch meine Kinder, welche dieses Jahr die ersten drei Ferienwoch­en mit ihren Freunden dort verbrachte­n. Die Veranstalt­er haben sich den Bedürfniss­en der Kinder stets angepasst. So viel Herzblut, Arbeit, Geld und Liebe wurden in das Projekt „Zeltlager“gesteckt, das es einem fast den Atem raubt, wenn man nun die Bilder der Zerstörung sieht. Es wird von vielen mit aller Macht nach einem Verantwort­lichen gesucht. Und ja, natürlich wird nach so einem Ereignis ermittelt. Aber mir stellt sich die Frage, warum wurde, wenn doch dem Bürgermeis­ter und den dortigen Behörden das Ausmaß der bevorstehe­nden Katastroph­e bekannt oder bewusst war, das Lager nicht zwangsgerä­umt? Mir scheint das immer weniger Menschen in der Lage sind, ein Unglück als ein Solches hinzunehme­n. Es hat eine schlimme Überschwem­mung gegeben. Es hat ein Mensch das Leben verloren. Es haben gerade auch die Menschen, die hervorrage­nde Arbeit leisten, ebenfalls viel verloren. Muss denn diesen Menschen jetzt auch noch ihr Ansehen und Gesicht genommen werden, weil es immer einen Schuldigen geben muss? Und muss das zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem noch nichts bewiesen bzw. aufgeklärt worden ist?

Stephanie Knecht Leverkusen

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