Ersatzmutter päppelt Mauersegler auf
Marianne Engel hilft Jungvögeln, die aus dem Nest gefallen sind. Eine arbeitsintensive Aufgabe.
MONHEIM Der Mauersegler ist ein Luftikus. In seinem bis zu 21-jährigen Leben landet er so gut wie nie auf dem Erdboden. Tut er es dennoch, ist er ein Fall für Vogelliebhaberin und –kennerin Marianne Engel. Derzeit bevölkern zehn Mauersegler und eine Rauchschwalbe zwei Container in ihrem Wohnzimmer an der Oranienburger Straße. Putzmunter zirpen die jungen Vögel vor sich hin, schnäbeln und schmusen in ihren Körbchen miteinander. Hätte Marianne Engel sie nicht aufgenommen, wären sie vermutlich alle tot. Denn selbst ein ausgewachsener Mauersegler schafft es selten, sich vom Boden in die Lüfte zu erheben. Das maximal 40 Gramm schwere Tier braucht die Thermik zum Segeln in den Lüften. Ein schwacher Nestflüchter ist verloren.
Seit 24 Jahren kümmert sich Naturschutzbund-Mitglied Engel um Mauersegler, die auf der Suche nach Futter oder auf der Flucht vor Hitze aus dem Nest gefallen sind. Derzeit herrscht wieder Hochkonjunktur bei den pflegebedürftigen Jungtieren. Für Marianne Engel bedeutet der Umgang mit den hübschen Piepmätzen eine Menge Arbeit. Zehnmal am Tag müssen sie gefüttert werden, sagt sie. Mit Leckerbissen wie tiefgefrorenen Heimchen, Beoperlen, Mineralien und Drohnenbrut. Selbst frisch geschlüpfte, drei Tage alte Nestgänger hat Engel schon fit fürs abenteuerliche Leben in der Luft gemacht.
Für die kleinen Federknäule ist Engel kein Aufwand zu groß. Ihre ersten Pflegefälle hat sie sogar mit zur Arbeit genommen, um sie dort durchgängig versorgen zu können. „Ich hatte damals einen sehr verständnisvollen Chef, der viel Gefallen an den Mauerseglern fand“, sagt sie. Heute arbeitet sie Teilzeit und hat mehr Zeit für die Vogelkinder. Nicht selten kommen diese im Körbchen mit in den Urlaub im Schwarzwald. Das erfordert viel Verständnis des Ehemanns. „Manchmal muss ich ihn beschwichtigen“, gesteht Engel, „vor allem immer dann, wenn das Telefon geht und wieder jemand einen Mauersegler abzugeben hat.“
Wer in die Natur des Mauerseglers eintaucht, versteht die Leidenschaft von Marianne Engel. Bis zu 21 Jahre wird der kleine zähe Vogel alt. 20 Mal fliegt er im Schnitt in seinem Leben nach Südafrika, um dort zu überwintern. Ende April kehrt er nach Europa zurück, um zu brüten. Auf dieses Weise legt der Mauersegler 3,86 Millionen Kilometer in seinem Leben zurück. „Das wäre fünfmal zum Mond und zurück“, sagt Engel. Er nistet in einer Höhe von fünf bis sechs Metern, gerne auf Pferde- oder Bauernhöfen am Gemäuer. Selbst zum Schlafen lässt der Vogel sich nicht nieder. „Das schafft er im Fliegen“, sagt Engel.
Wann die aufgepäppelten Jungvögel bereit sind für den Start in ein Leben, bestimmen sie selbst. „Ich fahre mit den Tierchen in den sechsten Stock eines Monheimer Hochhauses und stelle sie mit Korb auf die Brüstung. Wenn sich nach einer Viertel-Stunde nichts tut, nehme ich sie wieder mit zurück. Dann sind sie noch nicht soweit“, sagt die Kennerin. Kräftige Exemplare animiert sie, an sicherer Stelle von ihrer erhobenen Hand aus zu starten. Im Gegensatz zum Singvogel findet der Mauersegler sofort nach Rückkehr in die Freiheit dort auch sein Futter. Andere Vogelarten haben andere Versorgungsbedürfnisse – ein Arbeitsaufwand, der unmöglich zu bewältigen ist. In diesen Tagen wird die Monheimerin von ihren elf Schützlingen wieder einige gestärkt ins Leben entlassen können. Immer in der Hoffnung, dass er seinen Schwarm findet, der ihn mit nach Afrika nimmt.