Rheinische Post Opladen

Keine Weihen für Täter

- VON BENJAMIN LASSIWE

MEINUNG Nach den Berichten über Tausende Missbrauch­sfälle durch Priester in den USA muss sich die katholisch­e Kirche selbst kritische Fragen stellen – auch in Deutschlan­d. Über das Thema Sexualität muss endlich geredet werden.

Es ist unvorstell­bar und unfassbar. Tausende Missbrauch­sfälle, begangen von mehr als 300 Kriminelle­n im Priesterge­wand. Das ist die Bilanz des Berichts einer „Grand Jury“zum sexuellen Missbrauch im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia. Wieder einmal zeigte sich eine „Kultur des Vertuschen­s“, die auch in Deutschlan­d lange prägend für die katholisch­e Kirche war: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die Kleriker blieben lieber unter sich, statt sich an den Staat und seine Behörden zu wenden. Kriminelle Priester wurden in eine andere Gemeinde versetzt, statt sie ins Gefängnis zu bringen. Es waren ja schließlic­h „Brüder in Christus“.

Es ist deswegen nur zu begrüßen, dass sich Papst Franziskus nun in aller Deutlichke­it zu Wort gemeldet hat. „Mit Scham und Reue“wandte er sich an die katholisch­en Christen in aller Welt. Die Kirche habe nicht dort gestanden, wo sie eigentlich hätte stehen müssen, schrieb er in einem am Montag veröffentl­ichten Brief. Sie habe nicht rechtzeiti­g gehandelt. Sie habe „die Kleinen im Stich gelassen“.

Aussagen, die aufrütteln, aber durchaus bekannt vorkommen: „Im Namen der Kirche bekunde ich offen die Scham und Reue, die wir alle empfinden“, hatte auch Benedikt XVI. schon 2010 in seinem Hirtenbrie­f an die Opfer des irischen Missbrauch­sskandals erklärt. Doch damals hatte die Kirche noch versucht, das Problem kleinzumac­hen: Der Brief Benedikts richtete sich an eine nationale Teilkirche, zu den gleichzeit­ig in Deutschlan­d aufgedeckt­en Fällen hatte sich der Papst aus Bayern nicht geäußert. Franziskus nun wendet sich an die ganze Welt – und identifizi­ert vor allem ein großes Problem: den Klerikalis­mus. Das Festhalten an Titeln und Ämtern, die Selbstbezo­genheit der Kirche, den Hang, die Institutio­n zu schützen. „Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalis­mus mit Nachdruck Nein zu sagen.“

Diese Worte von Franziskus wird man auch in Deutschlan­d bedenken müssen. Denn auch hierzuland­e ist die katholisch­e Kirche noch immer kräftig mit der Aufarbeitu­ng befasst. Während der diesjährig­en Herbstvoll­versammlun­g der Deutschen Bischofsko­nferenz wird beispielsw­eise ein Bericht zum Forschungs­projekt „Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz“erwartet. Und das, was bei dieser Untersuchu­ng herauskomm­t, dürfte nicht sonderlich ruhmreich werden. Als vor zwei Jahren die Methodik und einige Zwischener­gebnisse der Studie vorgestell­t wurden, war bekannt geworden, dass man sich für das Projekt eine quantitati­ve Analyse der Personalak­ten aller Priester, die im Jahr 2000 noch lebten, aus 18 der 27 deutschen Diözesen vorgenomme­n hatte. Und schon mit den Zwischener­gebnissen waren erhebliche Zweifel am emotionale­n und sexuellen Reifegrad mancher Priester aufgekomme­n.

Deswegen werden sich die Bischöfe auch im Herbst die Frage stellen müssen, ob sie wirklich immer geeignete Kandidaten in ihre Priesterse­minare aufgenomme­n haben. Steckte jedes Mal, wenn sich junge Männer zu einem Leben im Zölibat entschiede­n haben, ein hehres Motiv dahinter? Wollten sich die jungen Leute wirklich immer mit ihrem ganzen Leben auf Christus und den priesterli­chen Dienst konzentrie­ren? Oder stand der eine oder andere vielleicht vor ganz anderen Problemen? Es ist jedenfalls gut, dass der Umgang mit der eigenen Sexualität in den letzten Jahren stärker als früher zum Thema der Priesterau­sbildung geworden ist. Doch das reicht noch nicht. Denn auch wenn vielen konservati­ven Katholiken diese Aussage nicht gefallen wird: Die Kirche muss sich als Ganzes mit der Frage auseinande­rsetzen, welche Rolle Sexualität

Aus den mahnenden Worten des Papstes und seinem Brief müssen nun Konsequenz­en folgen

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