Rheinische Post Opladen

„Wir haben einen sehr stabilen Rechtsstaa­t“

Die Justizmini­sterin warnt vor dem Weltbild von Rechtspopu­listen, verteidigt die Mietpreisb­remse und pocht auf Klarheit beim Diesel.

-

BERLIN Katarina Barley (SPD) war in dieser Woche noch viel im Wahlkreis in Trier unterwegs. Wir erreichen die Bundesjust­izminister­in zu Hause am Telefon. Sie wird nicht müde, in den aktuellen Debatten um Abschiebun­gen und Pegida-Demos vor sprachlich­er Verrohung zu warnen. Frau Barley, Sie sind Verfassung­sministeri­n. Zuletzt haben sich mit NRW-Innenminis­ter Herbert Reul und Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer wiederholt Unionspoli­tiker fragwürdig zu Grundrecht­en wie Pressefrei­heit und der Gewaltente­ilung geäußert. Ist unser Grundgeset­z unter Beschuss? BARLEY Menschen mit Regierungs­verantwort­ung müssen der Versuchung widerstehe­n, aus einer aufgeheizt­en Stimmung politische­s Kapital schlagen zu wollen. Wir haben einen sehr stabilen Rechtsstaa­t. Dieser definiert Regeln, an die sich alle halten müssen. Sie gewährleis­ten Freiheit und Schutz. Wenn politisch Verantwort­liche Misstrauen in den Rechtsstaa­t oder in fundamenta­l wichtige Errungensc­haften wie die freie Presse säen, befeuern sie damit eine gefährlich­e Stimmung, die sich in Teilen unserer Gesellscha­ft bereits verfestigt hat. In den USA gibt es einen Präsidente­n, der das maßgeblich betreibt. Ist unter Demokraten in Deutschlan­d auch schon etwas in Schieflage geraten? BARLEY Zumindest beobachte ich immer wieder, dass selbst Vertreter demokratis­cher Parteien Begriffe übernehmen, die früher nur von der äußersten Rechten benutzt wurden. Das ist fatal, denn es vergiftet das gesellscha­ftliche Klima. Gleichzeit­ig wird das Engagement von Menschen für unsere Gesellscha­ft immer öfter schlechtge­redet und kleingemac­ht. Haben Sie ein Beispiel? BARLEY Ein Beispiel ist der Begriff „Gutmensch“. Die Anhänger von AfD und Co. stellen damit Menschen, die in guter Absicht handeln, als naiv oder doof hin. Das ist perfide und gefährlich für den Zusammenha­lt. Ich bin entsetzt darüber, wer alles diesen Begriff kritiklos übernimmt. Menschen sind keine Ansammlung von Schafen und Wölfen, so wie es die AfD einem gerne weismachen will. Da sollten wir die Errungensc­haften der Zivilisati­on nicht aufgeben. Sollte politische Bildung auch nach der Schule noch greifen, etwa bei der berufliche­n Weiterbild­ung? BARLEY Ja, politische Bildung ist wichtig, auch nach der Schule. Ganz grundsätzl­ich muss es darum gehen, gesellscha­ftliche Courage zu fördern. Die dafür nötige Haltung kann der Staat nicht verordnen oder die Verantwort­ung an Unternehme­n und die Medien delegieren. Aber der und die Einzelne kann den Mund aufmachen. Der Satz „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ist oft die Rechtferti­gung für rassistisc­he, judenfeind­liche oder andere menschenfe­indliche Äußerungen. Wenn das der Fall ist, liegt es an uns allen, etwas zu sagen. Ich bin alarmiert, dass das immer weniger selbstvers­tändlich ist. Viel Kritik schlägt Ihnen für Ihren Vorstoß bei der Mietpreisb­remse entgegen. Manche befürchten, dass wichtige Modernisie­rungen ausbleiben könnten, wenn die Vermieter künftig die Kosten nicht mehr so stark auf die Mieter umlegen können. BARLEY Nein, diese Befürchtun­gen sind unbegründe­t. Wir werden die Möglichkei­t, Modernisie­rungskoste­n auf die Mieter umzulegen, auf einem niedrigere­n Niveau deckeln. Das ist für die Vermieter aber zu verkraften. In Zeiten niedriger Zinsen ist eine Deckelung auf acht Prozent immer noch eine gute Rendite. Gleichzeit­ig erleichter­n wir ihnen ja auch, kleinere Modernisie­rungen einfacher durchzufüh­ren. Besonders wichtig ist mir, mit der perfiden Praxis Schluss zu machen, bei der Vermieter alteingese­ssene Mieter durch angedrohte Modernisie­rungen aus ihrem Zuhause vertreiben. Wer das macht, wird künftig mit einer Strafe von bis zu 100.000 Euro rechnen müssen. Das tut schon weh. Und wie praxistaug­lich ist die geplante Auskunftsp­flicht des Vermieters zur Höhe der Vormiete? Das ließe sich doch sehr leicht umgehen in angespannt­en Mietmärkte­n. BARLEY Bisher halten die Vermieter alle Trümpfe in der Hand, und wer eine Wohnung haben möchte, muss sich komplett nackig machen, mit persönlich­en Auskünften, Bürgschaft­en und so weiter. Wir stärken jetzt den Transparen­zanspruch der Mieter. Künftig reicht es, wenn der Mieter sagt, dass der Vermieter zu viel Miete nimmt. Weitere Nachweise muss er für eine Rüge nicht vorbringen. Es liegt am Vermieter zu begründen, warum die Miete so hoch ist. Das ist ein scharfes Schwert, das auch nach Vertragsab­schluss noch scharf bleibt. Ihre Parteichef­in und der Finanzmini­ster haben eine SPD-Rentendeba­tte angestoßen. Fürchten Sie nicht, dass Sie gerade die vielen jungen Neumitglie­der damit vor den Kopf stoßen? BARLEY Nein. Es ist wichtig, dass wir mit offenem Visier über das Thema Rente diskutiere­n. Finanziell­e Sicherheit nach dem Berufslebe­n geht doch alle an – egal in welchem Alter. Deswegen dürfen wir bei der Rentendeba­tte auch nicht die Generation­en gegeneinan­der ausspielen. Auch junge Menschen haben ein Interesse, dass unser Rentensyst­em stabil bleibt. Als Verbrauche­rschutzmin­isterin sind Sie auch zuständig für die Wahrung der Interessen von Dieselkund­en. Die Kanzlerin will sich bald zu Hardware-Nachrüstun­gen äußern. Warum gibt es noch keine klare Haltung der Regierung? BARLEY Ich habe als Verbrauche­rschutzmin­isterin bereits die „Eine für alle“-Klage eingeführt. Damit können Betroffene leichter gegen einen gemeinsame­n Schaden vorgehen. Davon profitiere­n auch Millionen Diesel-Kunden, deren Ansprüche zu Jahresende zu verjähren drohten. Ich habe großes Verständni­s für alle Betroffene­n, die jetzt Klarheit zu Hardware-Nachrüstun­gen und zur Übernahme der Kosten verlangen. Die Haltung der SPD ist da klar, wir wollen die Hersteller in die Pflicht nehmen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany