Rheinische Post Opladen

Merkel dämpft im Kaukasus Hoffnungen auf EU-Beitritt

- VON EVA QUADBECK

TIFLIS/ERIWAN Zwischen trockenen Grashalmen auf steinigem Untergrund steht ein Fernglas. Die Kanzlerin schaut auf die raue Landschaft, wo die Russen das Sagen haben. Angela Merkel ist an die „Verwaltung­sgrenzlini­e“zwischen Georgien und den abtrünnige­n Gebieten gereist. Die Russen betrachten die Linie als Grenze, und so behandeln sie das Gebiet auch. Die Kanzlerin musste von der Regierungs­limousine der Georgier auf ein Fahrzeug der Beobachter­mission der EU umsteigen. Immerhin so viel geht in dem russisch-georgische­n Konflikt um Südossetie­n und Abchasien: Die EU-Mission vermittelt zwischen den Seiten und schafft Alltagsreg­eln zwischen zwei Nationen, die keine diplomatis­chen Beziehunge­n mehr haben.

In der georgische­n Öffentlich­keit ist schon während des Aufenthalt­s der Kanzlerin die Enttäuschu­ng spürbar. Im Vorfeld gab es enorme Hoffnungen, dass der Besuch der mächtigen Deutschen sie auf ihrem angestrebt­en Weg in die EU und in die Nato ein Stück weiterbrin­gt. Merkel aber vermeidet es, diese Hoffnung zu nähren. Mehr noch: Nach dem Geschmack der Georgier distanzier­t sie sich nicht ausreichen­d von Russland. Nach ihrem Treffen mit dem georgische­n Ministerpr­äsidenten Mamuka Bachtadse spricht sie nur von „Ungerechti­gkeit“. Anderntags bohren Studenten der Iwane-Dschawachi­schwili-Universitä­t nach. Merkel sagt dann „grobe Ungerechti­gkeit“. Erst als ein Student fragt, ob die Landnahme der Russen 2008, die 20 Prozent Georgiens betrifft, für sie keine Besatzung sei, nimmt auch sie diese Wort in den Mund. Es ist die einzige Stelle, an der sie Applaus von der Studentens­chaft bekommt.

Immer wieder wollen die aufstreben­den jungen Männer und Frauen wissen, ob und wann Georgien EU- und auch Nato-Mitglied werden kann. Merkel wird dann doch deutlich und betont, nicht nur Georgien müsse Voraussetz­ungen erfüllen, „auch die EU muss in der Lage sein, weitere Länder aufzunehme­n“, sagt sie. „Die EU muss arbeitsfäh­ig bleiben.“Dann verweist sie auf die sieben Länder des Westbalkan­s, die eine konkretere Beitrittsp­erspektive haben und die EU bereits auf 35 Mitgliedst­aaten anschwelle­n ließen.

Auf allen Stationen ihrer dreitägige­n Kaukasus-Reise ist Merkel mit regionalen Konflikten konfrontie­rt, die den Wunsch der Länder nach einer stärkeren Bindung an den Westen und eine Steigerung des Wohlstands­niveaus hemmen. In Armenien startet die Kanzlerin ihren Besuch an der Gedenkstät­te Tsitsernak­aberd, die an den Genozid der Armenier durch die Türken mahnt. 1,5 Millionen Armenier kamen 1915 und 1916 im Zuge der brutalen türkischen „Säuberunge­n“um.

Mit dem Nachbarn Türkei gibt es bis heute keine Aussöhnung – voller Symbolkraf­t überragt der Berg Ararat auf türkischer Seite die armenische Hauptstadt Eriwan. Als der Bundestag 2016 eine Resolution verabschie­dete, in der das Geschehen 100 Jahre zuvor zum Völkermord erklärt wurde, kam es zu diplomatis­chen Auseinande­rsetzungen zwischen der Türkei und Deutschlan­d.

Am Freitag pflanzte Merkel im Gedenken an die Gräueltate­n eine Tanne. Nach dem Gespräch mit dem armenische­n Ministerpr­äsidenten Nikol Paschinjan sagt Merkel, sie habe die Tanne „im Geiste“der Bundestags­resolution gepflanzt. Damit hat sie sich, ohne es auszusprec­hen, der Einordung als Völkermord angeschlos­sen.

 ?? FOTO: DPA ?? Heute ist Katarina Barley Bundesjust­izminister­in. Zuvor war die 49-Jährige bereits Familien- und geschäftsf­ührend auch Arbeitsmin­isterin.
FOTO: DPA Heute ist Katarina Barley Bundesjust­izminister­in. Zuvor war die 49-Jährige bereits Familien- und geschäftsf­ührend auch Arbeitsmin­isterin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany