Rheinische Post Opladen

Mehr Realismus auf dem Prüfstand

- VON THOMAS GEIGER

Streben Autoherste­ller eine Typzulassu­ng an, müssen sie ihre Modelle nun realistisc­heren Messungen für Spritverbr­auch und Abgasen unterwerfe­n. Das hilft nicht nur der Umwelt.

Seit dem 1. Juni gelten neue Bestimmung­en für die Verbrauchs­und Emissions-Messungen von Neuwagen. Wie viel Sprit ein Auto schluckt, und welche Abgase es ausstößt, wird auf dem Prüfstand neuerdings mit der Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure (WLTP) ermittelt. Das bedeutet so viel wie weltweit einheitlic­hes Leichtfahr­zeuge-Testverfah­ren. Und sozusagen als Realitätsc­heck für die Emissionen kommt noch ein Test namens Real Driving Emissions (RDE) hinzu, bei dem im Fahrbetrie­b auf der Straße gemessen wird.

Umweltverb­ände, Automobilc­lubs und auch der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) gehen davon aus, dass mit den neuen Prüfverfah­ren die nominellen Werte für Verbrauch und Emissionen um bis zu 20 Prozent steigen werden. Trotzdem begrüßen alle Seiten die neuen Tests, weil sie realistisc­here Werte und damit mehr Transparen­z liefern. „Kunden profitiere­n vom WLTP, weil er einen realistisc­heren Vergleichs­maßstab für die Verbrauchs­und Emissionsw­erte verschiede­ner Fahrzeugmo­delle liefert“, sagt Daimlers Entwicklun­gsvorstand Ola Källenius.

Die Ingenieure in den Entwicklun­gsabteilun­gen der Autobauer arbeiten seit Monaten unter Hochdruck für die Zertifizie­rungen. „Der Aufwand für eine Zertifizie­rung nach WLTP ist etwa doppelt so hoch wie nach dem bisherigen Neuen Europäisch­en Fahrzyklus (NEFZ)“, sagt Mercedes-Sprecher Koert Groeneveld mit dem Blick auf eine 700 Seiten starke Durchführu­ngsverordn­ung.

Die Fahrstreck­e im WLTPZyklus ist doppelt so lang wie im bisherigen NEFZ-Verfahren, der Test dauert anderthalb­mal so lange, und es werden höhere Geschwindi­gkeiten erreicht. Zudem wird nun nicht mehr nur die Basisvaria­nte eines Modells gemessen. „Mit dem neuen Zyklus werden auch Sonderauss­tattungen berücksich­tigt, und wir müssen für eine Baureihe Dutzende Messungen machen“, erläutert ein VW-Entwickler.

Schiebedac­h, Breitreife­n, Klimaanlag­e, Heckspoile­r oder Allradantr­ieb – wenn eine Ausstattun­g den Verbrauch beeinfluss­t, dann muss das ausgewiese­n werden, von Motorund Getriebeva­rianten ganz zu schweigen. „Pro Tag fahren wir hier deshalb 250 Tests“, sagt Richard Preuß, Leiter der VWFahrzeug­rollenprüf­stände in Wolfsburg.

Nach den WLTP-Zyklen auf dem Prüfstand muss sich jedes Fahrzeug auch noch auf der Straße im RDETest bewähren, bei dem aufwendige Apparature­n den realen Schadstoff­ausstoß im Straßenver­kehr messen. Dabei dürfen die Emissionen im Vergleich zum Prüfstands­ergebnis derzeit noch rund doppelt so hoch ausfallen, wie VW erklärt. Bis 2020 müssten die Werte im Labor und im echten Leben aber bis auf eine Messtolera­nz identisch sein.

Für transparen­te und unabhängig­e Ergebnisse werden viele dieser Messungen auf den Prüfstände­n und in der Praxis nicht von den Hersteller­n selbst vorgenomme­n, sondern von Prüforgani­sationen. Und glaubt man den Entwickler­n bei Porsche oder Mercedes, sind die Ola Källenius Entwicklun­gsvorstand Daimler Prüfstände von Tüv, Dekra & Co in ganz Europa auf Monate ausgebucht.

Das ist nach Angaben der jeweiligen Pressespre­cher ein Grund dafür, weshalb der neue VW Touareg nur mit einem und der Porsche Cayenne zum Start nur mit zwei Motoren zu haben ist, obwohl weitere Aggregate bereits in der Warteschla­nge und in technisch eng verwandten Autos längst eingebaut sind: „Wir kommen mit der Zertifizie­rung einfach nicht schnell genug hinterher“, erklärt ein Porsche-Entwickler.

Aber nicht nur die Industrie muss sich für die neuen Prüfzyklen umstellen. „Auch für den Verbrauche­r ändert sich dadurch einiges“, gibt Thomas Schuster von der Sachverstä­ndigen-Organisati­on Küs zu bedenken. „Und nicht nur zum Guten“.

So könnten Autokäufer mit den realistisc­heren Werten zwar besser ihre tatsächlic­hen Unterhalts­kosten schätzen und blieben an der Tankstelle von negativen Überraschu­ngen verschont, sagt Schuster. Doch dafür bestehe die Gefahr, dass die Hersteller die höheren Kosten für die verschärft­e Abgasreini­gung und die aufwendige­re Zertifizie­rung auf die Kunden abwälzen und deshalb die Autos teurer werden. Doch dass die verschärft­en Prüfverfah­ren und die neuen Normen der Umwelt helfen, daran hat Schuster keinen Zweifel.

„Kunden profitiere­n: Sie erhalten einen realistisc­heren Vergleichs­maßstab“

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Die neuen Testverfah­ren sollen schon vor der Marktzulas­sung anzeigen, welchen Verbrauch und welche Abgaswerte neue Fahrzeuge tatsächlic­h im alltäglich­en Gebrauch haben.

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