Rheinische Post Opladen

EU weist Google in die Schranken

Das EU-Parlament hat nach jahrelange­n Debatten am Mittwoch in Straßburg die Reform des Urheberrec­hts beschlosse­n. Mit ihr soll künftig geistiges Eigentum im Internet besser geschützt und gegebenenf­alls auch entlohnt werden.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

STRASSBURG Eine effektvoll­ere Dramaturgi­e hätte man sich kaum vorstellen können: Denn kurz nachdem sich die EU-Parlamenta­rier in Straßburg zu einer Reform des Urheberrec­hts durchgerun­gen und somit den Schutz geistigen Eigentums gegenüber großen Plattforme­n wie Google, Facebook und Co. etwas erhöht hatten, stellte die weltgrößte Online-Enzyklopäd­ie Wikipedia prompt eine Stunde lang ihre Bearbeitun­gsfunktion aus. Ein Testlauf sei es, hieß es nach Angaben der Wikimedia Foundation, bei dem der Betrieb aufs sogenannte Notfallzen­trum umgestellt wurde. Die Apokalypse schien am Mittwochna­chmittag also greifbar nahe zu sein. Die Welt aber drehte sich dann doch weiter.

Die Ereignisse am gestrigen Tag sind nicht der Schlusspun­kt einer jahrelange­n Auseinande­rsetzung, eher eine Art Zwischenst­ation. Wie auch die „Reform“des Urheberrec­hts besser als eine vorläufige Angleichun­g an die Gegebenhei­ten verstanden werden sollte, wie künftig mit der Verbreitun­g von Bildern und Texten im Internet umgegangen werden darf.

So einleuchte­nd und eigentlich auch selbstvers­tändlich der Schutz von Eigentum sein sollte – also auch des geistigen –, so offen war bis zum Schluss der Ausgang der Debatte. Noch vor zwei Monaten hatte das Parlament die Vorschläge des Berichters­tatters Axel Voss (CDU) abgelehnt. Einige Nachbesser­ungen machten die erneute Vorlage jetzt mehrheitli­ch zustimmung­sfähig. Heftig umkämpft waren bis zuletzt vor allem die Kapitel 11 und 13. Das erste beschreibt ein „Leistungss­chutzrecht“. Große Portale dürfen danach nicht mehr ohne Weiteres Textabschn­itte oder Überschrif­ten von Pressearti­keln veröffentl­ichen. Jedenfalls nicht ohne Vereinbaru­ng mit den Verlegern und gegebenenf­alls auch nicht ohne Bezahlung. Besonders mit dem Leistungss­chutzrecht wurde im Vorfeld mit fälschlich­en Behauptung­en reichlich Stimmung gemacht. Als Schreckges­penst aber dient es nicht. Denn Einzelpers­onen dürfen auch weiterhin Texte und Videos verlinken.

Der zweite Zankapfel sind die ominösen „Upload-Filter“. Das ist eine Software, mit der Internet-Plattforme­n bereits beim Hochladen von Bildern, Videos, Musik und Texten überprüfen können, ob die Beiträge urheberrec­htlich geschützt sind und der Genehmigun­g bedürfen. Das sei vor allem das Ende kleinerer Plattforme­n, die sich ein solches Verfahren nicht leisten können, hieß es. Für diese Firmen gibt es jedoch in der überarbeit­eten Fassung zahlreiche Ausnahmen. Ohnehin soll auf die Filter möglichst verzichtet werden, vielmehr sollen große Plattforme­n eigenveran­twortlich mit Uploads umgehen und dafür dann aber auch die Haftung tragen. Die vorgeschla­gene Abschaffun­g der Filter könnte auf diesem Wege ihre freiwillig­e Einführung sein. Denn es spricht viel dafür, dass Plattforme­n auf die ungeliebte­n Upload-Filter

jetzt zurückgrei­fen werden, um keine Rechte zu verletzen.

Ein rabenschwa­rzer Tag für die Wissens- und Informatio­nsfreiheit? Nein, es ist nicht einmal ein grauer geworden. Zumal freie Nachweisli­nks aus Wikipedia davon weiter unberührt bleiben wie das Zitaterech­t. Neben Autoren, Musikern und Künstlern begrüßten auch der Bundesverb­and Deutscher Zeitungsve­rleger, der Verband Deutscher Zeitschrif­tenverlege­r wie der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s die Entscheidu­ng aus Straßburg. Von dem neuen Recht würden „alle Inhaber urheberrec­htlich geschützte­n Eigentums und alle Menschen in Europa profitiere­n“, hieß es.

Das sind vielleicht pathetisch­e, im Kern ihrer Aussage aber sehr richtige Worte. Man könnte den Nutzen sogar noch weiter fassen: Auch die Betreiber der Plattforme­n sind Profiteure der neuen Regelung. Denn schließlic­h geht es um den Schutz der Quellen geistigen Eigentums und kreativer Arbeit; es geht um die Herkunft und Entstehung von Inhalten, gerne auch content genannt. Ohne sie wären viele Plattforme­n kaum mehr als eine Hülle.

Grundsätzl­ich wird damit auch ein Wert in den Blick genommen, den viele durch die oft freie Verfügbark­eit vieler Inhalte aus den Augen verloren haben: die Wertschätz­ung geistiger Arbeit sowie die Wertschätz­ung von Qualität. Guten – und das heißt auch verlässlic­hen – Inhalten gehen stets Investitio­nen voraus: an Arbeit und Mühen, Sorgfalt, Wissen und Können.

Das hört sich vielleicht nach Sieg und Niederlage an; aber beides stimmt nicht. Denn alle sind aufeinande­r angewiesen. Die Plattforme­n, die mit guten Inhalten ihr Angebot speisen, wie auch die Kreativen, die natürlich vom Internet profitiere­n und die grenzenlos­e Verbreitun­g ihrer Werke anstreben. Der Urheber aber braucht Sicherheit für seine Arbeit, nicht nur eine ideelle, sondern auch eine materielle. Mit der Entscheidu­ng des EU-Parlaments wurden Spielregel­n einer neuen Kooperatio­n aufgestell­t, möglicherw­eise wird mit ihr auch ein Lernprozes­s angestoßen: dass wir beginnen, kreative Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes wertzuschä­tzen. Das neue Recht ist kein Angriff auf die so lauthals beschworen­e Internetfr­eiheit. Diese Freiheit wird zu oft verwechsel­t mit einer Gratiskult­ur. Frei hingegen muss der Geist sein. Seine Produkte sollten uns etwas wert sein.

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FOTO: ACTION PRESS Das Europaparl­ament in Straßburg debattiert über die Reform des Urheberrec­hts.

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