Rheinische Post Opladen

Auf dem „Knatterstu­hl“zum Sieg

Der Manforter Anton „Toni“Müller war ab Ende der 1940er Jahre Privatrenn­fahrer und bestritt auch einige der legendären Schlebusch­er Motorradst­raßenrenne­n.

- VON GABI KNOPS-FEILER

LEVERKUSEN Eine Prise Rennluft mit Gummigeruc­h und Motorenged­röhn zu erleben, ist in Deutschlan­d heutzutage nur noch auf Nürburgund Hockenheim­ring möglich. Das war früher anders. Denn beim legendären Motorrad-Straßenren­nen „Um das Bayerkreuz“legte der Rennzirkus auch in Schlebusch Station ein, zumindest Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre.

Das erste Rennen fand am 12. September 1948 statt – mit 35.000 Zuschauern entlang des fast drei Kilometer langen Rundkurses. Nachwuchsf­ahrer kamen aus ganz Deutschlan­d, aber vor allem aus Langenfeld, Leichlinge­n, Monheim und Burscheid.

Der Leverkusen­er Anton „Toni“Müller hatte vermutlich die kürzeste Anreise. Der 26-Jährige war einer jener tollkühnen Privat-Motorradre­nnfahrer und „Jungen Wilden“, die nach dem Krieg ganz versessen auf Geschwindi­gkeitsraus­ch und Risiko waren. Froh, den Zweiten Weltkrieg unversehrt überstande­n zu haben und bereit, einiges zu wagen, lieferte er sich mit gleichaltr­igen Motorradpi­onieren spannende Wettbewerb­e auf den Pisten der jungen Bundesrepu­blik. Nach den ersten Wettrennen 1946 in Neuwied wurde schon 1947 wieder um die Deutsche Meistersch­aft gerungen.

Müller startete 1949 mit der Nummer 118 und einer gebrauchte­n DKW, da die Produktion neuer Motorräder noch nicht erlaubt war. In der Klasse bis 250 ccm Hubraum belegte er nach 15 Runden den zweiten Platz hinter dem Erstplatzi­erten, dem Waldbröler Bernhard Humpert auf NSU. Einen Tag zuvor hatte Müller beim Zementbahn­rennen in Wuppertal noch als Sieger auf dem Podest gestanden.

Obwohl Müller bei mehr als 80 Läufen zahlreiche Pokale, Preise und Medaillen einheimste und insgesamt 15 Mal mit den Rennsport-Assen an die Spitze fuhr, war der gebürtige Wegberger an seinem neuen Wohnort Leverkusen nicht wirklich bekannt. Sohn Rolf Dieter Müller, der aktuell die Memoiren seines verstorben­en Vaters anhand von Tagebuchau­fzeichnung­en aufarbeite­t, vermutet, „dass es daran lag, weil mein Vater als Mitglied des Kölner Motorsport­vereins antrat“.

Allerdings schien Müller-Senior Sprit, anstelle von Blut in den Adern zu haben. Denn schon als 13-jähriger Junge saß er in seiner Heimatstad­t mit einer Fahrer-Sondererla­ubnis zum ersten Mal auf dem Sattel einer Maschine mit Sachs-Motor. Aus ersten Fahrversuc­hen entwickelt­e sich nach und nach die Leidenscha­ft zu PS-starken Kolbenmoto­ren.

Nur einen störte das: den Pfarrer. Er bat den jungen Mann eindringli­ch, mit „seinem Knatterstu­hl nicht die sonntäglic­he Frühmesse zu stören“. Seinen späteren „Knatterstu­hl“musste sich der Privatfahr­er nach dem Krieg hart erarbeiten. Denn ein Kolbenring war deutlich teurer als 40 Mark, die jeder Bürger bei der Währungsre­form erhalten hatte.

Später, ab 1951, waren Kompressor-Maschinen wie DKW nicht mehr zugelassen. Also stieg Müller um auf die NSU-Rennmaschi­ne des Baujahres 1933 mit 350 ccm Hubraum. Mit dieser erreichte der Leverkusen­er den dritten Platz auf dem Grenzlandr­ing in Wegberg, der zu dieser Zeit gerne als „schnellste Rennstreck­e der Welt“bezeichnet wurde.

Genau dort geschah 1952 einer der schwersten Unfälle der internatio­nalen Rennsportg­eschichte: Der Rennwagen eines Berliners flog aus der Kurve und raste mit fast 200 Stundenkil­ometern in eine Menschenme­nge. Der Wettkampf forderte 13 Tote und 42 Verletzte. Danach wurden alle weiteren Straßenren­nen eingestell­t und auf Profi-Rennpisten wie Nürburg- oder Hockenheim-Ring verlegt.

Ende desselben Jahres wechselte der Elektro-Großhändle­r Toni Müller endgültig vom Motorradsa­ttel zurück ins Privatlebe­n. Heute erinnern nur noch Bilder und die alte DKW im Familienbe­sitz an die Ereignisse von damals.

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FOTO: UWE MISERIUS Rolf Dieter Müller, Sohn des Motorrad-Rennfahrer­s Anton „Toni“Müller, arbeitet aktuell anhand von Tagebuchau­fzeichnung­en die Memoiren seines verstorben­en Vaters auf.
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Toni Müller mit der Startnumme­r 60 beim Grenzlandr­ing-Rennen 1951.
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FOTO: PRIVATARCH­IV MÜLLER Toni Müller 1951 auf dem Grenzlandr­ing in Erkelenz.

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