„Ich darf eine gewisse Gelassenheit haben“
Borussia Mönchengladbachs Trainer spricht über das Spiel gegen Schalke 04 und Dialog im Fußball.
MÖNCHENGLADBACH Wir treffen Dieter Hecking am Tag nach seinem 54. Geburtstag im Büro des Borussia-Parks. Der Gladbacher Cheftrainer ist gut gelaunt, schenkt sich erst einmal ein Glas Wasser ein. Am Samstag (18.30 Uhr) kommt der FC Schalke, der anders als die Borussen, die nach zwei Spielen vier Punkte haben, den Bundesliga-Start mit zwei Niederlagen verpatzt hat.
Es ist Ihr erstes großes Interview in der neuen Saison. Wieso haben Sie sich bislang so zurückgehalten? HECKING Es gab mir zuletzt viel zu viele Nebengeräusche über das, was abseits des Fußballs passiert. Damit haben sich auch Max (Eberl, Sportdirektor, Anm. d. Red) und ich in der Analyse nach der Saison beschäftigt. Wir haben uns gefragt: Was passiert eigentlich gerade mit dem deutschen Fußball? Es geht nur noch um Transfers und wie hoch sie sind, es geht um die Fans und das Verhalten der Vereine. Das eigentliche Spiel ist kein Thema mehr. Ich wollte keine Interviews führen, in denen man nur nach Stellungnahmen zur WM gefragt wird, weil das nicht mein Bereich ist. Ich habe zu vielen Themen zwar durchaus eine Meinung, ich fand es für mich aber richtig, mich erstmal wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Jetzt kommt in Domenico Tedesco einer aus dieser jungen Trainergarde, denen man nachsagt, dass sie viel umstellen. Kann man da taktische Spielchen erwarten?
HECKING Ich finde, dass Domenico Tedesco mit der Dreierkette eine klare Spielphilosophie für Schalke entwickelt hat. Er hat ganz klare Abläufe, wie er die Mannschaft spielen lassen will. Tedesco steht für eine hervorragende Organisation gegen den Ball. Das wird die Schwierigkeit für uns werden. Im letzten Jahr hatte Schalke eine überragende defensive Stabilität und Kompaktheit mit einem hervorragenden Umschaltspiel und der Gefährlichkeit bei Standards. Das hat mit Platz zwei überragend geklappt mit einer tollen Trainerleistung.
Borussia ist weniger ausrechenbar geworden durch den Spielertypen Alassane Plea. Wie wichtig ist das? HECKING Alassane ist der Stürmer, der vielleicht im letzten Jahr noch so ein bisschen gefehlt hat bei uns. Aber er allein ist es ja auch nicht. Er ist ja auch davon abhängig, wie er angespielt wird, wie die Mitspieler um ihn herum arbeiten und wie die Laufwege sind. Alassane ist aber nicht nur der klassische Mittelstürmer, der nur vorne darauf wartet, dass der Ball kommt. Er ist ein Stürmer, der seine Mitspieler auch gut in Szene setzt.
Macht es auch mehr Spaß oder ist es anstrengend, jemandem zu sagen, dass er auf der Tribüne sitzt? HECKING Ich habe ja schon gesagt, dass ich es für veraltet halte, dass man nur einen Kader von 18 Spielern für die Bundesliga benennen darf. Bei der WM sind 23 Spieler dabei, in der Serie A in Italien auch. Damit würde man uns Trainern viele undankbare Aufgaben abnehmen. Den Spielerkader auf 22 zu erhöhen, gibt uns mehr Möglichkeiten, und man hat mehr Ruhe bei den Spielern, die sich zumindest zugehörig fühlen. Da geht es einfach nur um Regularien, und es ist zwingend nötig, das zu verändern. Wir Trainer sollten das vielleicht auch einfordern.
Sollten die Trainer überhaupt mehr eingebunden werden?
HECKING Ich denke, generell könnte man die Kommunikation mit uns Trainern verbessern. Wir hatten im letzten Jahr einen Termin mit Jogi Löw. Da haben wir als Bundesligatrainer allerdings ein ganz schwaches Bild abgegeben, weil nur acht Kollegen da waren. Wenn der Bundestrainer die Bundesligatrainer einlädt, muss das eine Pflichtveranstaltung sein. Andererseits glaube ich, dass wir Trainer viel mehr in gewisse Dinge einbezogen werden sollten, und das nicht nur vereinzelt. Sei es Spielplan Nationalmannschaft, Rahmenterminplan, Videobeweis. Da muss die Kommunikation seitens DFB und DFL viel besser werden. Ich muss nicht wissen, was es bei der Rasenbeschaffenheit zu beachten gilt. Mich interessiert: Was sind die Veränderungen im Fußball? Welche Konsequenzen ziehen wir als deutsche Bundesliga aus einer verkorksten WM? Als Vereinstrainer? Ist eine kontrollierte Offensive wie von Weltmeister Frankreich das Neue, das wir übernehmen, oder entwickeln wir selber etwas? Thomas Schaaf ( Technischer Direktor Werder Bremen, Anm. d. Red.) fragt seit Jahren immer wieder: Wofür steht der deutsche Fußball?
Wofür steht er denn?
HECKING In der breiten Öffentlichkeit im Ausland heißt es: gute Organisation, Siegeswillen, Mentalität. Neben einer hohen Qualität an Einzelspielern, die wir nach wie vor haben, auch wenn die WM nicht so gut war. Und jetzt wird wieder gefordert, dass wir individuelle Geister haben, als Außenstürmer, als Außenverteidiger. Von außen wird sich viel angemaßt. Es wird viel zu oft in Polemik verfallen, und das ist in der Diskussion schädlich.
Ein emotionales Thema dürfte auch Ihr Vertrag sein. Sie haben sich entschieden, nicht zu verlängern. HECKING Es gab noch keine Verhandlungen, es sind also auch keine gestoppt worden. Borussia hatte sicherlich auch Gründe, das in dem Moment nicht zu machen. Und es gab auch für mich Gründe, abzuwarten, wohin der Weg führt. Das werden wir in Zukunft besprechen, aber das war im Sommer nicht das Thema und ist es im Moment auch nicht. Im Moment ist wichtig, dass wir erfolgreich Fußball spielen. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich in meinem Alter eine gewisse Gelassenheit haben darf. Und die werde ich auch ausleben.
Ist da ein bisschen Trotz dabei, das man es allen zeigen will?
HECKING Trotz ist nicht das richtige Wort. Meine Mannschaft und ich, wir müssen eins: Wir müssen das Herz der Fans erreichen. Durch unsere Spielweise. Auch wenn es fußballerisch mal ein schlechtes Spiel ist, aber wenn Tony Jantschke die vierte Grätsche auspackt oder Jordan Beyer sich von Kevin Volland auf der Linie auf die Brust schießen lässt und sich drei Mann in den Schuss werfen, da merkt der Fan: Die geben alles. Und wenn es am Samstag gegen Schalke genauso ist und wir 1:2 verlieren, geht der Zuschauer trotzdem nach Hause und sagt: Sie haben es wenigstens versucht. Und diese Spielweise immer wieder rauszukitzeln ist der Weg, den Borussia wieder gehen muss. Die Mannschaft muss spüren, dass sie etwas zurückbekommt, wenn sie etwas gibt. Und sie bekommt Zuspruch von den Rängen, wenn sie so spielt. Aber idealerweise gewinnen wir am Samstag 2:1. DAS KOMPLETTE INTERVIEW FINDEN SIE UNTER WWW.RP-ONLINE.DE/FOHLENFUTTER