Weltstars von nebenan
Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov haben die Tischtennis-EM vor der Brust – und den Schalk im Nacken.
DÜSSELDORF Die nötige Lockerheit bringen sie schon mal mit. Wenn Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov nebeneinander auf einer Bühne sitzen, wirken sie nicht wie gereifte Weltstars, sondern wie pubertierende Lausbuben vor der nächsten Klassenfahrt. Und die geht diesmal nach Spanien, genauer gesagt nach Alicante. Dort starten die beiden am Donnerstag in die Einzelkonkurrenz der Tischtennis-Europameisterschaft.
Es wird viel gestichelt und gelacht beim deutschen Nationalteam. Die Stimmung wird als „sehr gut“gepriesen – und sie wirkt auch so. Es sieht nicht aufgesetzt aus, wenn Boll und Ovtcharov tuscheln und kichern, während junge Teamkollegen wie Benedikt Duda oder Ricardo Walter auf die Fragen der Journalisten antworten.
Etwas ernster werden die beiden Weltstars von nebenan erst, als es um ihre aktuelle Form geht. „Ich sehe mich absolut nicht als Topfavorit. Ich weiß wirklich überhaupt nicht, wo ich stehe“, sagt Boll, der als topgesetzter Spieler an den Start gehen wird. Und Ovtcharov, der an Nummer zwei gelistet wird, betont: „Ich habe mein Trainingspensum zwar schon gesteigert, aber ich bin sicher nicht da, wo ich sein möchte.“
Die Ungewissheit, die in ihren Gesichtern steht, rührt aus Verletzungen. Boll hat erst ein einziges Match absolviert seit seinem bislang letzten World-Tour-Turnier vor über drei Monaten. Seine sensible Nackenmuskulatur bereitete ihm hartnäckige Probleme. Bei „Dima“waren es sogar vier Monate Pause aufgrund eines Stressödems im Oberschenkelhals. „Ich bin extrem froh, dass ich die schwere Zeit hinter mir habe“, sagt der Weltcupsieger vom russischen Meister Fakel Orenburg und gibt dann einen Einblick in sein Seelenleben: „Ich habe mir eine Weile schon Sorgen gemacht, wie es wohl weitergeht.“Und deshalb sehen sich die beiden Aushängeschilder des deutschen Tischtennis’ trotz der Setzliste nicht als Favoriten. Für Boll geht es vor allem um eines: „Ich will wieder das Adrenalin spüren.“
Der Ungewissheit um die Verfassung seines Topduos zum Trotz geht Bundestrainer Jörg Roßkopf von einer erfolgreichen EM aus. Alicante gilt im Lager des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) vorrangig als Durchgangsstation zu den Europaspielen 2019 in Minsk, wo die erste Chance zur Olympia-Qualifikation für Tokio 2020 genutzt werden soll.
Dennoch stellt Roßkopf für die EM, wo die vier Medaillen von der EM 2016 in Budapest der Maßstab sind, klare Forderungen auf: „Wir wollen in jedem Wettbewerb auf dem Treppchen stehen, denn wir haben in jedem Wettbewerb die besten Spieler Europas am Start.“
Ob einer seiner drei Spieler neben Boll und Ovtcharov aber auch für das sechste Einzelgold bei Roßkopfs siebter EM sorgen kann, muss abgewartet werden. Immerhin Hoffnungen auf einen Coup darf sich Patrick Franziska nach seinem Vorstoß in Europas Spitzenquintett und in die Top 20 der Welt machen. In jedem Fall ein Medaillenfavorit ist der Saarbrücker im Doppel als Titelverteidiger mit dem Dänen Jonathan Groth und im Mixed mit der WM-Dritten Petrissa Solja (Langstadt).
Solja ist auch im Doppel mit Titelverteidigerin Sabine Winter (Kolbermoor) Anwärterin auf einen Podiumsplatz. (mit sid)