Gerry-Weber-Aktie fällt ins Bodenlose
Die Nachricht, dass Banken ein Sanierungsgutachten erstellen sollen, lässt den Börsenwert um ein Viertel schrumpfen. Das klingt existenzbedrohend. Schuld ist nicht nur die Online-Konkurrenz, sondern auch eine strukturelle Schwäche.
HALLE Als Zalando vor fast genau vier Jahren an die Börse ging, war die Gerry-Weber-Aktie noch fast 30 Euro wert. Seither geht es für das Modeunternehmen aus Ostwestfalen am Aktienmarkt fast nur noch bergab. Und natürlich ist die Online-Konkurrenz in Gestalt von Zalando und Amazon daran nicht ganz unbeteiligt. Sie ist aber nur einer der Gründe dafür, dass Gerry Weber in einer tiefen Krise steckt. Am späten Freitagabend hat das Traditionsunternehmen mit der Nachricht schockiert, dass ein Sanierungsgutachten erstellt werden soll. Am Montag folgte die Börsen-Konsequenz: Die Aktie stürzte um etwa 23 Prozent ab, auf ein 15-Jahres-Tief von 3,13 Euro. Binnen eines Jahres hat Gerry Weber 70 Prozent seines Börsenwertes verloren.
Wenn man nach Gründen für den Absturz des einstigen Modestars sucht, ist es weder die Online-Konkurrenz allein und auch nicht nur das Wetter. Der Sommer war zu heiß, der letzte Winter zu lau – diese Phänomene nennen die Modekonzerne gern, wenn es darum geht, Gründe für die Flaute im eigenen Laden zu finden. Doch den Modeverkäufern wird das Leben auch dadurch schwer gemacht, dass Mode als Statussymbol für junge Menschen nach Untersuchungen der Agentur Bloomberg an Bedeutung verloren hat. Sie stecken ihr Geld lieber in Reisen oder technische Neuerungen als in Klamotten. Seit 2005 sinken in Europa die Haushaltsausgaben für Kleidung, wie die Statistikbehörde Eurostat errechnet hat.
Ohne Marktwachstum findet Verdrängungswettbewerb statt. Der ist hart, er wird auch im Internet geführt, aber er trifft mitnichten nur die Filialisten. Selbst Zalando musste jüngst eine Gewinnwarnung herausgeben. Umgekehrt hat H&M im dritten Quartal den Umschwung beim Umsatz geschafft, erzielen Unternehmen wie die irische Billigkette Primark und die spanische Zara-Muttergesellschaft Inditex, die einen deutlich schnelleren Warenumschlag haben, hohe einstellige, mitunter sogar zweistellige Margen. Dagegen kam Gerry Weber zuletzt nur auf magere 1,1 Prozent. Die Probleme in Ostwestfalen sind also auch hausgemacht. Gerry Weber, so urteilen Experten, habe allzu lange auf ältere Damen als Kernklientel gesetzt, zu viele Filialen zu schnell eröffnet, das eigene Design vernachlässigt. Fehler des Firmengründers Gerhard Weber, die Sohn Ralf jetzt als Vorstandsvorsitzender ausbügeln müsse.
Auch mit dem Supermodel Eva Herzigova als Werbebotschafterin war in den vergangenen Jahren der Abwärtstrend nicht mehr aufzuhalten. Der Beleg dafür sind neben dem Absturz der Aktie ins Bodenlose die jüngsten Geschäftszahlen: Der Umsatz sank im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2017/18 (31. Juli) um mehr als elf Prozent auf rund 170 Millionen Euro. Der VErlust verdoppelte sich auf knapp elf Millionen Euro, wobei darin schon Kosten für ein laufendes Sanierungsprogramm enthalten sind.
Aber das reicht nicht. Was nun? Das Sanierungsgutachten, das in Auftrag gegeben wurde, soll bis Mitte Oktober vorliegen. Externe sollen nun die Zukunftschancen beurteilen und Möglichkeiten aufzeigen, wie Gerry Weber sich aus der Krise befreien kann. Dass das gelingt, daran mögen Börsianer offensichtlich nicht so recht glauben. Der Analyst Roland Maul von der DZ Bank beispielsweise hat nach der Ankündigung des Sanierungsgutachtens das Kursziel noch einmal von vier auf 2,80 Euro gesenkt. Das wären dann noch einmal zehn Prozent weniger als der Kurs von gestern. Und er behält die Empfehlung „Verkaufen“bei, wie etliche andere Analysten in den vergangenen Monaten auch schon.