Rheinische Post Opladen

Klimarettu­ng durch Kohleausst­ieg?

Der Kampf um Hambach ist nur ein Symbol. Die Debatte um Klimawande­l, Kohleausst­ieg, Energiewen­de spaltet das Land. Ein Faktenchec­k.

- VON JAN DREBES UND ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Im Streit um Klima und Kohle wird viel behauptet, polemisier­t, eskaliert. Zur Demo am Samstag twitterte Monika Düker (Grüne) ein Transparen­t: „Ob Nazis oder Kohle - braun ist immer scheiße“mit dem Kommentar „Bunt und kreativ wird es heute“. Am Montag entschuldi­gte sie sich für den Nazi-Vergleich. „Dafür entschuldi­ge ich mich, insbesonde­re bei allen Beschäftig­ten im rheinische­n Revier und in der Lausitz.“Doch auch um Fakten gibt es erbitterte­n Streit. Ein Check.

Wie steht es um die Erderwärum­g? Dazu legte der Weltklimar­at am Montag seinen Bericht vor. Die gute Nachricht: Die Menschheit kann es noch immer schaffen, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Drei andere Botschafte­n sind ernüchtern­d. Erstens braucht es laut Bericht für dieses Ziel sehr schnelle Anstrengun­gen aller Staaten, um die Treibhausg­asemission­en drastisch zu senken. Zweitens blieben die Auswirkung­en selbst bei 1,5 Grad erheblich, von vermehrten Überflutun­gen und Dürren bis hin zu einem Aussterben einiger Arten. Käme es aber zu einer Erwärmung um zwei Grad oder mehr, und das ist die dritte Botschaft, würden die Folgen noch schlimmer sein.

Wie schmutzig produziert Deutschlan­d? 2016 waren die größten Emittenten weltweit China, die USA und Indien mit Anteilen an den weltweiten Emissionen von 28, 16 und sechs Prozent. Danach folgten Russland und Japan und auf Platz sechs bereits Deutschlan­d mit einem Anteil von immerhin noch zwei Prozent. Daher drängt die Bundesregi­erung darauf, mit einem Kohleausst­ieg ein Zeichen zu setzen.

Müssen wir für das Klima rasch aus der Braunkohle aussteigen? Grüne und Umweltverb­ände sagen: ja. Wissenscha­ftler wie Manuel Frondel vom Essener Institut RWI sagen: nein. „Ein vorzeitige­r Ausstieg würde den Ausstoß an Kohlendiox­id in Europa nicht senken und damit auch dem Klima nicht helfen. Denn wir haben den europäisch­en Emissionsh­andel: Jedes Verschmutz­ungszertif­ikat, das RWE nicht braucht, geht an andere Versorger, etwa an polnische Kohlekraft­werke.“Und die müssten dann wegen der sinkenden Preise sogar noch weniger zahlen. Sinn ergäbe der Ausstieg nur, wenn die Bundesregi­erung die in Deutschlan­d nicht mehr benötigten Zertifikat­e aufkauft, was aber Milliarden kosten würde. „Daher ist der Schutz von Hambach reine Symbolpoli­tik, die sehr teuer werden kann“, so Frondel.

Das Oberverwal­tungsgeric­ht hat die Rodung in Hambach gestoppt. Gehen jetzt die Lichter in NRW aus? Nein. Zwar werden 40 Prozent des Strombedar­fs in NRW über Braunkohle gedeckt, allein 15 Prozent mit Braunkohle aus Hambach. Rechnerisc­h. Technisch gesehen speisen die meisten Erzeuger in Deutschlan­d „in einen Topf“ein. „Nicht einmal die Aluhütten und Chemie-Werke in NRW hängen direkt an den Braunkohle-Kraftwerke­n, sondern bedienen sich am freien Markt. Fällt der Braunkohle-Strom weg, springen andere Versorger ein“, sagt Frondel. Er betont aber auch: „Allerdings steigt der Strompreis, und das wirkt sich gerade auf die energieint­ensive Industrie negativ aus.“

Haben RWE und Landesregi­erung nicht stets behauptet, ohne Hambach sei die Versorgung gefährdet? RWE betont, am Tagebau Hambach hingen 4000 Megawatt Kraftwerks­kapazität in Niederauße­m und Neurath, was man im Zusammenha­ng zum Strommarkt sehen müsse. Auch RWI-Experte Frondel sagt: „Mittelfris­tig gefährdet der Ausstieg die Versorgung. Im Winter braucht Deutschlan­d über 80 Gigawatt an sicherer Erzeugungs­kapazität. Dafür benötigen wir konvention­elle Kraftwerke, denn nachts scheint keine Sonne und der Wind weht nicht verlässlic­h.“Bis 2022 gehen die letzten Atommeiler vom Netz. „Dann werden wir mindestens 10 Gigawatt sichere Kapazität weniger am Netz haben. Diese Lücke müssen wir entweder durch Stromimpor­te schließen, doch im Winter braucht etwa Frankreich seinen Atomstrom selbst. Oder durch neue Gaskraftwe­rke, damit aber werden wir abhängiger von russischem Gas.“ Können die anderen Tagebaue für Hambach einspringe­n? Nein, sagt RWE. In Hambach werden im Jahr 40 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaut, in Garzweiler 35 Millionen. „Der Tagebau Garzweiler arbeitet bereits nahezu an der Kapazitäts­grenze. Hier lässt sich kaum mehr Kohle heraushole­n“, sagt der RWE-Sprecher. Der dritte Tagebau, Inden, ist eisenbahnm­äßig ohnehin nicht an die anderen Tagebaue angeschlos­sen und beliefert nur das Kraftwerk Weisweiler. Hier werden im Jahr rund 20 Millionen Tonnen gefördert.

Was hat das Gericht jetzt genau verboten? Im März 2018 hat die Bezirksreg­ierung Arnsberg den Hauptbetri­ebsplan genehmigt und den Sofortvoll­zug erlaubt. Gegen den Sofortvoll­zug hat der BUND vor dem Verwaltung­sgericht Köln geklagt und verloren. Dagegen klagte der Umweltverb­and vor dem Oberverwal­tungsgeric­ht Münster, und das hat am 5. Oktober den Sofortvoll­zug untersagt. Als nächstes entscheide­t das Verwaltung­sgericht Köln in der Hauptsache über die Frage, ob der verblieben­e Hambacher Forst grundsätzl­ich abgeholzt werden darf oder ob das Gebiet nicht doch als Fauna-Flora-Habitat-Gebiet nachgemeld­et und erhalten werden muss. Im Rahmenbetr­iebsplan von 2014, der noch unter RotGrün erlassen wurde, wurde diese Frage ausführlic­h geprüft: Danach darf der Wald unter Auflagen gerodet werden, weil es genug andere Katar 47,8 Ver. Arab. Emirate 25,8 Saudi-Arabien 19,7 Luxemburg 16,7 Australien 16,5 USA 16,5 Kanada 15,5 Russland 11,4 Niederland­e 9,9 Deutschlan­d 9,8 Wälder der Art gibt. Bis zu einem endgültige­n Urteil, womöglich des Bundesverw­altungsger­ichts, kann es nun Jahre dauern.

Was bedeutet der Rodungssto­pp für RWE? Am Montag ging die Aktie weiter auf Talfahrt und notierte um drei Prozent schwächer bei 18 Euro. Zu Folgen für Standorte und Jobs sagte der RWE-Sprecher: „Wir müssen jetzt das Gerichtsve­rfahren zur Hauptsache abwarten. So lange sind Rodungen nicht möglich. Entspreche­nd werden wir die betrieblic­hen Konsequenz­en aus dieser Entscheidu­ng ziehen. Das heißt, wir werden den Betrieb so anpassen, dass die Folgen für das Unternehme­n und seine Mitarbeite­r so weit wie möglich begrenzt werden.“

Sind die Arbeitsplä­tze ein Argument? Von Tagebauen und Kraftwerke­n im rheinische­n Revier hängen 25.000 Arbeitsplä­tze ab. Laut einer Studie der Industrie- und Handelskam­mern Aachen, Köln und Mittlerer Niederrhei­n sind 93.000 Beschäftig­te in energieint­ensiven Unternehme­n tätig. Frondel meint, das Job-Argument ziehe bei einem langfristi­gen Ausstieg nicht. „Bei einem Ausstieg bis 2035, wie der Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en es vorschlägt, hätten wir noch 17 Jahre Zeit, um den Strukturwa­ndel zu gestalten.“Allerdings hingen an der hiesigen Braunkohle mehr als eine Milliarde Euro an Wertschöpf­ung. „Die würde NRW ans Ausland verlieren.“

Wie kann man den Kohleausst­ieg besser organisier­en? Die Kohlekommi­ssion der Bundesregi­erung will bis Jahresende einen Zeitpfad für den Ausstieg festlegen. Frondel lehnt ein festes Datum ab. „Der Kohleausst­ieg ist bereits in Gang. Alles Weitere sollte man dem Markt, also dem Emissionsh­andel, überlassen.“Laut dem Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en könnte das zum Ausstieg schon bis 2030 führen. „Zugleich ist wichtig, dass man China beim Klimaschut­z ins Boot holt. Dort geht jede Woche ein neues Kohlekraft­werk ans Netz, auch Indien setzt auf Kohle. Deshalb brauchen wir einen global einheitlic­hen Preis für Kohlendiox­id“, so Frondel. Auch Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdamer Klima-Instituts, fordert eine Bepreisung von CO2-Emissionen. Das habe drei gute Effekte: die Nutzung fossiler Brennstoff­e werde weniger profitabel, die Erzeugung sauberer Energie attraktive­r, und es entstünden Einnahmen für die Staaten.

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QUELLE: GLOBAL CARBON PROJECT | FOTO: DPA | GRAFIK: FERL, DPA

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