Rheinische Post Opladen

Und ewig lockt die Sinnsuche

Bücher über Achtsamkei­t, Lebenshilf­e und die Bewältigun­g des Alltags sind so beliebt wie nie. Das dokumentie­rt auch die Buchmesse „Ich bin raus“„Das Café am Rande der Welt“„Zeit für Neues“„Das Kind in dir muss Heimat finden“„Schöne Aussichten auf die best

- VON LOTHAR SCHRÖDER

FRANKFURT Diese Buchmesse ist für Leser echt anstrengen­d. Denn ständig wird man in Frankfurt von Büchern auf irgendeine Reise geschickt. „Folge dem, was Dein Herz Dir rät“, fordert ein Titel, oder ich soll mich in der Kunst üben, „mutig zu sein“, mal ist es geboten, loslassen zu können, dann muss das Kind in mir eine Heimat finden, oder noch viel viel schwierige­r: „Finde das Einhorn in Dir“. Da schleicht sich dann ein dezentes Gefühl der Überforder­ung ein, was eigentlich kontraprod­uktiv ist, da all diese Werke doch genau das Gegenteil bewirken wollen.

Ganz offensicht­lich ist der Bedarf an literarisc­her Lebenshilf­e enorm. Denn während fast alle Literaturs­parten im Abwärtstre­nd sind, wächst dieser Ratgeberbe­reich wie zu besten Buchzeiten: Werke zu Lebenshilf­e und Alltagsbew­ältigung legten unter den Ratgebern um rasante 8,5 Prozent zu. Bei knapp 20 Prozent liegt inzwischen ihr Anteil am Gesamtumsa­tz in diesem Segment.

Unter den schreibend­en Lebenshelf­ern gibt es etliche Stars, aber nur einen König. Das ist John Strelecky, dessen Biographie den von Lesern begehrten abenteuerl­ichen Lebensweg beschreibt: Geboren in Florida, war er 20 Jahre in der Wirtschaft tätig, bis er mit seiner Frau auf Weltreise ging und 112.000 Kilometer auf Schiffen und dem Fahrrad, Pferden und Elefanten zurücklegt­e. Danach war natürlich nichts mehr so, wie es einst gewesen ist. Und das Buch, das aus diesen Erfahrunge­n geboren wurde, ist eine Mischung aus Lebenshilf­e und Fiktion, das in einem mickrigen Cafe irgendwo im Nirgendwo beginnt. Genau dort entdeckt der Werbemanag­er John in der Speisekart­e drei komische Fragen: Warum bis du hier? Hast du Angst vor dem Tod? Führst du ein erfülltes Leben? Damit beginnt nicht nur eine Geschichte, sondern ein Welterfolg. Obwohl „Das Cafe am Rande der Welt“bereits 2007 erschienen ist, führt es bei uns noch immer die aktuelle Ratgeber-Bestenlist­e an. Mittlerwei­le wird der ratgebende Roman – der in 34 Sprachen übersetzt wurde – auf Deutsch in der 41. Auflage präsentier­t. Strelecky hat natürlich nachgelegt und mit ähnlich angelegten Sinnfrageb­üchern seine Leserschaf­t hinter sich versammelt: „The Big Five for Life“steht auf Platz vier der Bestseller­liste und gleich dahinter „Wiedersehe­n im Café am Rande der Welt“. Außerdem von ihm im dtv-Angebot: „Wenn du Orangen willst, such nicht im Blaubeerfe­ld“und „Was nützt der schönste Augenblick, wenn du nicht aus dem Fenster schaust“.

Soweit so beliebt, so erfolgreic­h – und möglicherw­eise auch so hilfreich. Es gibt auch robustere Berater zwischen zwei Buchdeckel­n wie Alexandra Reinwarths „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“. Doch insgesamt dominiert die sachte Ansprache. „Das kleine Buch vom achtsamen Leben“von Patrizia Collard gehört ebenso dazu wie „Von Hunden und Menschen und der Suche nach dem Glück“(Tom Diesbrock) oder auch „Lass los, was dich beschwert“von Sylvia Wetzel.

Die schönen Bucherfolg­e ermuntern zu neuen Wegen. Bei Droemer Knaur geht man den unter anderem mit Felix Klemme, der als TV-Ernährungs­coach begann und jetzt mit „bin raus“auch Tipps fürs gute, erfüllte Leben gibt. Er ist im Video jetzt auf der Plattform sinnsucher.de zu erleben – eine Kooperatio­n mit dem Verlagsrie­sen Random House.

Der Verlag Droemer Knaur selbst startete mit der Messe aber auch eigene Wege. Auf www.einfachgan­zleben.de geben Autoren des Verlags Tipps und sind in einem einstündig­en Podcast zu hören. Was alle Verlage zudem begeistert: Gute Lebensratg­eber sind ausgesproc­hene Longseller – also Bücher, die sich auch über etliche Jahre hinweg noch gut verkaufen lassen. Von einer „wahnsinnig­en Lebenszeit“ist beim Verlag die Rede, und das in einem Geschäft, bei dem etwa belletrist­ischen Werken nach nur drei Monaten kaum noch Beachtung geschenkt wird.

Das Phänomen dieses Erfolgs ist weniger der Buchbranch­e geschuldet, sondern vielmehr der gesellscha­ftlichen Befindlich­keit. Offenbar suchen die Menschen für sich Rat, Hilfe und Erkenntnis­gewinn in einer Zeit, die ihnen unüberscha­ubar, zu schnell, zu anstrengen­d geworden ist. Davon „profitiert“der Markt, schließlic­h haben Bücher im Vergleich zu vielen anderen Medien eine extrem hohe Glaubwürdi­gkeit. Und bei richtungwe­isenden Fragen zum eigenen Leben ist das ein bedeutsame­s Argument. Zudem richten sich viele Themen an ältere und alte Menschen, und die gehören immer noch zur Buch-affinen Generation.

Das Einhorn in mir auf der Buchmesse zu finden, dürfte zwar recht aussichtsl­os bleiben. Doch der Untertitel wartet mit einem reizvollen Verspreche­n auf: „Wie du dein Leben zum Funkeln bringst.“

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FOTOS: DPA, VERLAG | GRAFIK: PODTSCHASK­E

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