Und ewig lockt die Sinnsuche
Bücher über Achtsamkeit, Lebenshilfe und die Bewältigung des Alltags sind so beliebt wie nie. Das dokumentiert auch die Buchmesse „Ich bin raus“„Das Café am Rande der Welt“„Zeit für Neues“„Das Kind in dir muss Heimat finden“„Schöne Aussichten auf die best
FRANKFURT Diese Buchmesse ist für Leser echt anstrengend. Denn ständig wird man in Frankfurt von Büchern auf irgendeine Reise geschickt. „Folge dem, was Dein Herz Dir rät“, fordert ein Titel, oder ich soll mich in der Kunst üben, „mutig zu sein“, mal ist es geboten, loslassen zu können, dann muss das Kind in mir eine Heimat finden, oder noch viel viel schwieriger: „Finde das Einhorn in Dir“. Da schleicht sich dann ein dezentes Gefühl der Überforderung ein, was eigentlich kontraproduktiv ist, da all diese Werke doch genau das Gegenteil bewirken wollen.
Ganz offensichtlich ist der Bedarf an literarischer Lebenshilfe enorm. Denn während fast alle Literatursparten im Abwärtstrend sind, wächst dieser Ratgeberbereich wie zu besten Buchzeiten: Werke zu Lebenshilfe und Alltagsbewältigung legten unter den Ratgebern um rasante 8,5 Prozent zu. Bei knapp 20 Prozent liegt inzwischen ihr Anteil am Gesamtumsatz in diesem Segment.
Unter den schreibenden Lebenshelfern gibt es etliche Stars, aber nur einen König. Das ist John Strelecky, dessen Biographie den von Lesern begehrten abenteuerlichen Lebensweg beschreibt: Geboren in Florida, war er 20 Jahre in der Wirtschaft tätig, bis er mit seiner Frau auf Weltreise ging und 112.000 Kilometer auf Schiffen und dem Fahrrad, Pferden und Elefanten zurücklegte. Danach war natürlich nichts mehr so, wie es einst gewesen ist. Und das Buch, das aus diesen Erfahrungen geboren wurde, ist eine Mischung aus Lebenshilfe und Fiktion, das in einem mickrigen Cafe irgendwo im Nirgendwo beginnt. Genau dort entdeckt der Werbemanager John in der Speisekarte drei komische Fragen: Warum bis du hier? Hast du Angst vor dem Tod? Führst du ein erfülltes Leben? Damit beginnt nicht nur eine Geschichte, sondern ein Welterfolg. Obwohl „Das Cafe am Rande der Welt“bereits 2007 erschienen ist, führt es bei uns noch immer die aktuelle Ratgeber-Bestenliste an. Mittlerweile wird der ratgebende Roman – der in 34 Sprachen übersetzt wurde – auf Deutsch in der 41. Auflage präsentiert. Strelecky hat natürlich nachgelegt und mit ähnlich angelegten Sinnfragebüchern seine Leserschaft hinter sich versammelt: „The Big Five for Life“steht auf Platz vier der Bestsellerliste und gleich dahinter „Wiedersehen im Café am Rande der Welt“. Außerdem von ihm im dtv-Angebot: „Wenn du Orangen willst, such nicht im Blaubeerfeld“und „Was nützt der schönste Augenblick, wenn du nicht aus dem Fenster schaust“.
Soweit so beliebt, so erfolgreich – und möglicherweise auch so hilfreich. Es gibt auch robustere Berater zwischen zwei Buchdeckeln wie Alexandra Reinwarths „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“. Doch insgesamt dominiert die sachte Ansprache. „Das kleine Buch vom achtsamen Leben“von Patrizia Collard gehört ebenso dazu wie „Von Hunden und Menschen und der Suche nach dem Glück“(Tom Diesbrock) oder auch „Lass los, was dich beschwert“von Sylvia Wetzel.
Die schönen Bucherfolge ermuntern zu neuen Wegen. Bei Droemer Knaur geht man den unter anderem mit Felix Klemme, der als TV-Ernährungscoach begann und jetzt mit „bin raus“auch Tipps fürs gute, erfüllte Leben gibt. Er ist im Video jetzt auf der Plattform sinnsucher.de zu erleben – eine Kooperation mit dem Verlagsriesen Random House.
Der Verlag Droemer Knaur selbst startete mit der Messe aber auch eigene Wege. Auf www.einfachganzleben.de geben Autoren des Verlags Tipps und sind in einem einstündigen Podcast zu hören. Was alle Verlage zudem begeistert: Gute Lebensratgeber sind ausgesprochene Longseller – also Bücher, die sich auch über etliche Jahre hinweg noch gut verkaufen lassen. Von einer „wahnsinnigen Lebenszeit“ist beim Verlag die Rede, und das in einem Geschäft, bei dem etwa belletristischen Werken nach nur drei Monaten kaum noch Beachtung geschenkt wird.
Das Phänomen dieses Erfolgs ist weniger der Buchbranche geschuldet, sondern vielmehr der gesellschaftlichen Befindlichkeit. Offenbar suchen die Menschen für sich Rat, Hilfe und Erkenntnisgewinn in einer Zeit, die ihnen unüberschaubar, zu schnell, zu anstrengend geworden ist. Davon „profitiert“der Markt, schließlich haben Bücher im Vergleich zu vielen anderen Medien eine extrem hohe Glaubwürdigkeit. Und bei richtungweisenden Fragen zum eigenen Leben ist das ein bedeutsames Argument. Zudem richten sich viele Themen an ältere und alte Menschen, und die gehören immer noch zur Buch-affinen Generation.
Das Einhorn in mir auf der Buchmesse zu finden, dürfte zwar recht aussichtslos bleiben. Doch der Untertitel wartet mit einem reizvollen Versprechen auf: „Wie du dein Leben zum Funkeln bringst.“