„Mit Merz könnte es schwieriger werden“
Der Grünen-Chef über das Beben in der CDU, die Aussichten für eine Jamaika-Koalition und die Gründe für den Erfolg seiner Partei.
BERLIN Robert Habeck empfängt uns am Tag nach dem großen CDU-Beben, dem Verzicht Angela Merkels auf eine weitere Kandidatur, in der Parteizentrale der Grünen in Berlin-Mitte. Den rustikalen Tisch, an den wir uns setzen, hat Habecks Co-Parteivorsitzende Annalena Baerbock anschaffen lassen.
Angela Merkel hat mit ihrem Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den CDU-Vorsitz ihre Partei überrascht. Ist das mehr Chance oder mehr Risiko für Deutschland? Habeck Dass Frau Merkel selbst den Weg frei macht, finde ich höchst respektabel. Nun steht die Union vor einer echten Richtungsentscheidung, die auch ein Votum über die Politik von Frau Merkel ist.
Ist die Macht, also die Ämtertrennung von CDU-Vorsitz und Kanzleramt, bis 2021 wirklich teilbar? Habeck Mit der Trennung von Amt und Mandat kennen wir Grüne uns ja gut aus. Es ist durchaus möglich, den Parteivorsitz und das Bundeskanzleramt in vier Händen zu halten. Aber ob es eine Chance ist, hängt stark davon ab, mit wem sich Frau Merkel die Macht bis 2021 teilt. Mit Frau Kramp-Karrenbauer ist das sicherlich einfacher, mit Friedrich Merz oder Jens Spahn könnte es schwieriger werden.
Kann sich Innenmnister Horst Seehofer im Amt halten?
Habeck Meine Meinung war und ist, dass Horst Seehofer als Bundesinnenminister der Falsche ist, weil er die Parteitaktik vor das Amt gestellt hat. Insofern finde ich es richtig, wenn Horst Seehofer als Bundesinnenminister zurücktreten würde…
… auch als CSU-Chef…?
Habeck …ob die Entscheidung von Frau Merkel, den CDU-Vorsitz abzugeben, auch einen Einfluss darauf hat, wer CSU-Vorsitzender ist, muss die CSU selbst klären. Horst Seehofer war nicht der einzige, der die Regierung destabilisiert und geschwächt hat. Das war schon ein Gemeinschaftswerk mehrerer Akteure, die jeweils eine eigene Agenda verfolgen.
Mit wem könnten Grüne besser: Annegret Kramp-Karrenbauer oder Friedrich Merz?
Habeck Für uns ist die Frage, wie eine Politik aussehen kann, die die nötigen radikalen Veränderungen auf den Weg bringt. Wir sind konstruktive Opposition: Wir motzen nicht nur rum, sondern wir arbeiten konzeptionell.
Könnten sich die Grünen eine Jamaika-Koalition unter einem Kanzler Friedrich Merz vorstellen? Habeck Das ist mir zu viel „Was-wäre-wenn“und zu viel Spekulationswelt. Man sollte außerdem Jamaika nicht so verklären. Es hätte schon 2017 alle enorm gefordert. Seitdem ist ein Jahr verloren gegangen. Es ist ungenutzt verstrichen, siehe Klimakrise, siehe Dieselkrise, siehe Europa. Ich erwarte von der amtierenden Regierung, dass sie sich jetzt personell und inhaltlich neu aufstellt, sich dem Land zuwendet und anfängt zu regieren. Das Jahr 2018 war ein verlorenes Jahr. Dieses verlorene Jahr muss aufgeholt werden.
Beim Kohleausstieg müssten also nicht nur Kraftwerkskapazitäten von sieben Gigawatt, sondern acht oder zehn sofort vom Netz?
Habeck Die sieben Gigawatt sind ja kein Selbstzweck. Es geht darum, dass die Kohle ihren Beitrag leistet, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Der war im letzten Jahr Null. Also muss der Beitrag jetzt größer werden. Die Groko schiebt Entscheidungen vor sich her, und damit wird der Berg immer höher und steiler. Das ist keine kluge Politik.
Wie erklären Sie sich den Niedergang der Volksparteien?
Habeck CDU, CSU und SPD sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie kaum noch den Blick frei haben, wie Menschen außerhalb ihrer Parteizentralen auf sie schauen – der Fall Maaßen hat das ja vor Augen geführt. Alles ist darauf ausgerichtet: Wie schaffen wir es, den Streit zwischen uns Dreien zu klären? Dazu zählt auch der Diesel-Streit? Habeck Es gibt in der Bundesregierung eine zu große Nähe zur Automobilindustrie. Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer reden ja so, als seien sie die Pressesprecher der Konzerne. Mit dieser Verhaltensstarre gefährdet die Bundesregierung den industriellen Kern Deutschlands. Es ist im Interesse der Branche selbst, dass die Politik einen klaren Rahmen vorgibt und sagt, wie der Umstieg auf emissionsfreie Autos laufen soll. Genug Unternehmen, viele Zulieferer etwa, warten doch darauf. Die Branche wird nur dann international mithalten und Arbeitsplätze sichern können, wenn sie weiß, wohin es geht. Dann kann sie wieder Innovationsmotor werden. Und mehr noch: Menschen spüren, wenn es unfair zugeht, wenn Verbraucher geprellt werden, aber das Management Milliardengewinne macht. Oder wenn Handwerkerinnen, Bäcker und Bürger ihre Steuer zahlen, aber Google und Facebook nicht. Dabei hat die Politik es in der Hand, für mehr Fairness zu sorgen.
Warum wollen sich die Grünen heute nicht mehr mit dem Label Ökopartei zufriedengeben?
Habeck Umwelt- und Klimaschutz stehen ganz oben auf unserer Agenda. Aber wir konzentrieren uns nicht nur auf das, was die anderen Parteien nicht abdecken. Wir sehen unsere Grünen-spezifischen Programmpunkte – die ökologische Krise, den Klimawandel, das Artensterben – eingebettet in die allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhänge. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hat die Grünen als politischen Hauptkonkurrenten ausgemacht. Was ist passiert, dass zwei ehemalige Verbündete wie Gegner auftreten?
Habeck Das sehe ich anders. Wettbewerb unter Parteien gab es schon immer. Es hat sich aber etwas verändert in den letzten Jahrzehnten: Wir haben heute eine politische Konfliktlinie, die sich festmacht an der Frage: Bin ich liberal oder illiberal, bin ich nationalistisch oder proeuropäisch? Und für diese Frage brauchen die Parteien eine klare Haltung.
Können Sie das bitte genauer noch formulieren?
Habeck Das war in Bayern und Hessen sehr deutlich zu spüren. Viele Leute wollten wissen, steht ihr für eine Europäische Union, in der es zwischen den Mitgliedsstaaten offene Grenzen gibt? Zigtausende sind gegen das bayerische Polizeigesetz auf die Straße gegangen, weil es zu sehr in die Freiheit eingreift und zu wenig Sicherheit bringt. Wir waren in diesen Fragen sehr klar positioniert, und ich glaube, deshalb haben wir diesen breiten Zuspruch bekommen. Und vielleicht auch, weil Leute sehen, dass die Veränderungen – Klimakrise, Digitalisierung – so radikal sind, dass es sehr grundlegende Antworten braucht, die dann pragmatisch umgesetzt werden. Was früher ein Widerspruch war, bedingt sich heute.