EKD muss sich Missbrauch stellen
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland kommt in Würzburg zusammen. Im Zentrum des Treffens steht die Jugend: Sie soll vor Übergriffen besser geschützt, die Jugendarbeit intensiver werden.
Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) werden es spannende Tage: Von Sonntag an kommen die Mitglieder ihres Kirchenparlaments, der Synode, zu ihrer turnusgemäßen Tagung in Würzburg zusammen. Und ein einziges Wort auf der Tagesordnung reicht aus, um sich vorzustellen, wie lebhaft die Debatten werden: Es ist das „M“-Wort: Missbrauch.
Denn auch die EKD muss sich, genau wie die katholische Kirche, mit der drängenden Frage der sexualisierten Gewalt in ihren Kirchengemeinden und Einrichtungen auseinandersetzen. Auch aus evangelischen Pfarrhäusern sind Missbrauchsfälle bekannt, auch an evangelischen Schulen und Kindergärten trieben Kinderschänder ihr Unwesen. Insgesamt sind bislang rund 500 Missbrauchsopfer aus den Reihen des deutschen Protestantismus aktenkundig. Im Unterschied zu den Katholiken ist die EKD bei den Themen Prävention und Aufarbeitung allerdings noch in Trippelschritten unterwegs.
Noch gibt es in der EKD keinen zentralen Missbrauchsbeauftragten. Allerdings hat die Kirchenkonferenz, die Vertretung aller Landeskirchen im großen Dachverband EKD, die Einrichtung eines Beauftragtenrates beschlossen. Dazu soll es eine zentrale, unabhängige Anlaufstelle für Missbrauchsopfer geben. Zu verdanken sind diese Fortschritte der engagierten Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die mit ihrer Aufarbeitung der Ahrensburger Fälle Maßstäbe setzte.
Doch acht Jahre nach dem Bekanntwerden der Fälle am katholischen Canisius-Kolleg ist die EKD als Ganzes trotzdem langsam unterwegs. Ihre Bemühungen kommen spät, und eigentlich auch zu spät für eine Kirche, die sich immer größtmögliche Transparenz auf ihre Fahnen schrieb. Deswegen ist es richtig und wichtig, wenn prominente Vertreter der Aufarbeitungslandschaft, wie etwa die ehemalige Unabhängige Beauftragte Christine Bergmann oder die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission für die Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Sabine Andresen, die EKD nun zu mehr Engagement bei der Missbrauchsaufarbeitung mahnen.
Doch die beiden großen Kirchen sind beim Thema Missbrauch eben nicht ohne Weiteres vergleichbar. Die evangelische Kirche kennt keinen Zölibat. Was zur Folge hat, dass in protestantischen Pfarrhäusern oft auch eine Pfarrfrau und die Kinder des Pfarrers leben. Das schließt allerdings nicht aus, dass es auch Fälle sexuellen Missbrauchs gab, die in einem evangelischen Pfarrhaus spielten.
Aber es gibt derzeit keinerlei Anzeichen dafür, dass evangelische Pfarrfamilien irgendwie häufiger oder stärker betroffen waren, als ganz normale Familien, die irgendwo in Deutschland leben. Gefährdet sind in der evangelischen Kirche dagegen andere Bereiche – die Jugendarbeit zum Beispiel, die oft von speziellen Jugendmitarbeitern oder Ehrenamtlichen geleitet wurde. Denn in der aufgeklärten, liberalen Pädagogik der 70er und 80er Jahre wurde ein sehr offenes, freies Verhältnis zur Sexualität gelehrt und praktiziert. Und im Unterschied zur katholischen Kirche, die an dieser Stelle eher konservativ ist, schwappten solche Strömungen stets schnell in den deutlich liberaleren Protestantismus über.
Doch es geht auf der Synode in Würzburg nicht nur darum, dass die EKD einen Paradigmenwechsel vornimmt und sich eine solide Sacharbeit in Sachen Prävention und Aufarbeitung auf die Fahnen schreibt. Die evangelische Kirche muss sich zusätzlich auch mit der Zukunft ihrer Jugendarbeit beschäftigen. Denn das ist das eigentliche Thema der diesjährigen Synodentagung, das die EKD schon vor einem Jahr beschlossen hatte. Und auch hier sind neue Wege dringend nötig: Denn es sind vor allem die jungen Erwachsenen, die Menschen zwischen Schulabschluss und der ersten Kindertaufe, die der Kirche in Scharen verloren gehen. Gelingt es nicht, hier neue Angebote zu machen und den christlichen Glauben an die nächste Generation weiterzugeben, wird es große Synoden der evangelischen Kirche irgendwann bald womöglich nicht mehr brauchen. Doch von Verhältnissen wie im Lutherischen Weltbund, wo es in allen Gremien eine Jugendquote von 20 Prozent gibt, ist der deutsche Protestantismus noch weit entfernt.
Dazu kommt die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung der evangelischen Kirche. Mit Recht nannte es der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, der am Freitag zum neuen Leitenden Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands gewählt wurde, eine Herausforderung für die Kirchen insgesamt, wie sie sich als „erwachsene, zivilgesellschaftliche Akteure in die plurale Gesellschaft einbringen“. Denn gerade heute, in einer Zeit, in der eine rechtsradikale und fremdenfeindliche Partei in Deutschland Wahlerfolge am laufenden Band feiert, sind die Kirchen und ihre Positionierungen gefordert.
Doch man muss gar nicht über die AfD reden. Es reicht schon ein Blick auf den Tagungsort Würzburg. Denn im Bundesland Bayern hat bekanntlich eine Staatsregierung mit einem Kreuzeserlass das wichtigste Symbol der Christenheit für sich instrumentalisiert. Auf die Einwände beider großen Kirchen wurde nicht gehört. Mehr noch – namhafte Kirchenvertreter sagen heute, dass sie zu Spitzenvertretern etwa der CSU gar keinen Kontakt mehr haben.
Man wird deswegen durchaus gespannt sein dürfen, mit welchen Positionierungen sich die evangelischen Kirchenparlamentarier in den nächsten Tagen öffentlich zu Wort melden. Stoff für lebhafte Debatten in Würzburg haben die Mitglieder der EKD-Synode jedenfalls zuhauf.
Bei Prävention und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ist die EKD noch in Trippelschritten unterwegs