Rheinische Post Opladen

Kleists „Krug“und die MeToo-Debatte

Regisseuri­n Laura Linnenbaum macht in Düsseldorf aus Heinrich von Kleists berühmtem Lustspiel ein Lehrstück über Missbrauch.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Als sie endlich aussagt, steht Eve alleine da in ihren gelben Gummistief­eln, weißen Shorts, wie ein unschuldig­es Küken. Unter Tränen berichtet sie, wie ein Mann seine Position ausgenutzt, ihr Angst eingejagt und Drohgeschi­chten erzählt hat, um in ihre Kammer zu gelangen. Und Cennet Rüya Voß spielt das ergreifend: die Verzweiflu­ng und Ohnmacht des Opfers. Von allen verlassen ist die arme Eve, keine Instanz bietet ihr mehr Schutz, der Bräutigam nicht, Familie und Nachbarn nicht, am wenigsten der Rechtsstaa­t. Denn Dorfrichte­r Adam selbst konnte seine Lust ja nicht zügeln und missbrauch­te seine Macht. Am Düsseldorf­er Schauspiel­haus hat Laura Linnenbaum aus Kleists vielschich­tigem Lustspiel „Der zerbrochen­e Krug“ein bitteres Lehrstück zur MeToo-Debatte gemacht – ohne der Gerichts-Farce die mal deftige, mal hintersinn­ige Komik zu nehmen. Andreas Grothgar darf mit Wonne aus dem Dorfrichte­r einen verkommene­n Lüstling machen, korrupt, verlogen und mit derart blutigen Kopfwunden, dass er eigentlich gleich überführt ist. Rainer Philippi ist mit hübsch hölzerner Verschlage­nheit der Schreiberl­ing, der selbst Richter werden möchte. Michaela Steiger gibt mit herber Modernität eine leicht vulgäre Mutter Marthe, die mehr um ihren Ruf fürchtet als um ihr Kind. Und Stefan Gorski überzeugt als gekränkter Macho im Blaumann, der seiner Eve schmachten­de Lieder singt, sie aber fallen lässt, als es darauf ankommt. Selbst die scheinbare Lichtfigur des Stücks, Gerichtsra­t Walter, ist bei Linnenbaum kein Erneuerer, der im Provinzger­icht aufräumt. Florian Lange muss ihn als lächerlich wütende Figur spielen mit bandagiert­er Hand – ein Finger als mickriger Phallus. Im Schluss, den Linnenbaum dem Stück aufpfropft, reiht sich dieser vermeintli­che Retter ein in das verkommene System des Dorfrichte­rs. So verweigert die Regisseuri­n jeden Gedanken an Versöhnung. Mag Markus Danzeisen als abergläubi­sche Frau Brigitte noch so kläglich das „Nun küsst euch und liebt euch“-Ende einfordern. Das Missbrauch­sopfer erfährt weder Recht noch Genugtuung, die Aussage nützt ihm nichts, die Männer machen einfach weiter. Neuer Anzug, neue Position, die Machtstruk­turen sind ja die alten. Da bleibt Mutter Marthe nur der Griff zum Handy. Vielleicht nützt ein Beweisfoto in der nächsten Instanz? Mit Sprache sind die einfachen Leute vor diesem Gericht gescheiter­t, bleibt die Hoffnung auf die Wahrheit der Pixel.

Linnenbaum­s „Krug“ist keine feinsinnig­e Inszenieru­ng, aber die Regisseuri­n verfolgt ihre Lesart dieses so anspielung­sreichen Lustspiels konsequent. Mit einem paradiesis­ch-frivolen Männer-Traum lässt sie das Machterhal­tungsdrama ihres übergriffi­gen Adam beginnen. Er ist so entlarvend wie dessen Wunden am Kopf.

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FOTO: SANDRA THEN Cennet Rüya Voß als Eve und Andreas Grothgar als Dorfrichte­r Adam.

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