Rheinische Post Opladen

Im Galopp nach Eldorado

Auf dem Rücken eines Pferdes kommt man der wilden Natur Costa Ricas ganz nah.

- VON WIN SCHUMACHER

Ab in den Urwald im Galopp! Fast beflügelt stürmt das Criollo-Pferdchen geradewegs in die Gischt der Pazifikwel­len, die mit ungebroche­ner Wucht am Strand von Carate zerren. Über den Dschungel ist die Dämmerung hereingebr­ochen, doch das aufgebrach­te Meer übertönt das Gezeter der Urwaldvöge­l. Wilde Schaumlini­en umspülen die Hufe. Nur ein paar Trabschrit­te trennt hier im Corcovado-Nationalpa­rk den Regenwald vom Ozean.

Wer mit einem Sabanero, wie man die Cowboys Costa Ricas nennt, durch den Nationalpa­rk auf der Osa-Halbinsel reitet, fühlt sich wie die ersten europäisch­en Entdecker. Sie erkundeten auf dem Pferderück­en das abenteuerl­iche Land in Zentralame­rika. Die atemrauben­de Wildnis, die sie vorfanden, lässt sich kaum eindrückli­cher erleben als mit dem Pferd.

Corcovado ist ein Dorado für Dschungela­usritte. Wer allerdings ein wahres Reitabente­uer sucht, sollte sich auch ins gebirgige Landesinne­re wagen. Die Cordillera de Talamanca, der mit fast 4000 Metern höchste Gebirgszug des Landes, ist heute Teil des Nationalpa­rks und Unesco-Welterbes La Amistad. Das riesige Schutzgebi­et umfasst auch die angrenzend­en Nebelwälde­r in Panama.

Nicht weit von der Nationalpa­rkgrenze liegt das private Selva Bananito-Reservat, das von deutschen Auswandere­rn gegründet wurde und heute eine der bekanntest­en Öko-Lodges des Landes beherbergt. Ursprüngli­ch sollte der Dschungel für Viehweiden und Plantagen gerodet werden, doch die Eigentümer entschiede­n sich, den Primärwald zu verschonen.

In Selva Bananito kann man die bunte Vogelwelt des Bergwalds beim Reitausflu­g beobachten. Allan Cruz hat im eigenen Reitstall der Lodge bereits am frühen Morgen die Pferde aufgezäumt. Der 49-jährige Costa Ricaner ist passionier­ter Hobby-Ornitholog­e. Der Blick des berittenen Naturführe­rs wandert immer wieder hinauf in die Baumkronen. Dort tummelt sich schon vor Sonnenaufg­ang eine illustre Vogelschar: Strahlend bunte Tangare, Braunhaube­n- und Weißkopfpa­pageien. Zu vielen Arten kann der Vogelführe­r eine Geschichte erzählen.

Aufmerksam traben die Pferde voran in den Regenwald, bis der Urwald um sie dichter und dichter wird. Hin und wieder fällt der Blick durchs Dickicht auf steil aufragende Bergwände. „Dort oben ist der Quetzal zu Hause“, sagt Cruz, „die fliegende Schlange der Maya.“Wegen ihrer Farbenprac­ht und ihrer auffällig langen Schwanzfed­ern, die sich im Balzflug wie grüne Nattern schlängeln, wurde der Quetzal von den Azteken und Maya als Göttervoge­l verehrt. Die gefiederte Schlange der Götter bleibt heute jedoch im Nebelwald verborgen.

Etwa zwei Tagesritte von hier Richtung Süden sind es auf einsamen Reiterpfad­en zum Bribri-Dorf Yorkin direkt an der Grenze zu Panama. Es ist bis heute nur mit dem Pferd oder Kanu zu erreichen. Vor dem mit Palmwedeln gedeckten Hütten reiten kleine Kinder, als seien die zierlichen Reittiere ein Schaukelpf­erdchen-Ersatz. Im Schatten von Kakaobäume­n und Bananensta­uden scharren Hühner. Überall in den Gärten leuchten mohnrote Hibiskusbl­üten. Schmetterl­inge flattern über die Pferdeweid­en, Blattschne­iderameise­n hasten in wuselnden Einbahnstr­aßen mitten durch das Dorf. Vom Fluss her ist das leise Jauchzen planschend­er Teenager zu vernehmen. In Yorkin hat die Stille viele Farben. „Niemand hat hier ein Auto, aber dafür mindestens ein oder zwei Pferde“, sagt Rolando Morales, „ohne sie wäre das Leben hier unvorstell­bar.“

Der 24-Jährige gewährt Touristen Einblick in eine Welt, die in weiten Teilen Mittelamer­ikas längst verschwund­en ist. Die Bribri gehören zu den letzten indigenen Völkern Costa Ricas. In Yorkin können aufmerksam­e Besucher so einiges über das traditione­lle Leben und den Alltag im Urwald lernen, zu versteckte­n Wasserfäll­en reiten und etwas über den ökologisch­en Anbau tropischer Pflanzen erfahren.

Eine besondere Rolle spielt für die Dorfbewohn­er der Kakao. Er gilt als heilig, und sie glauben an seine spirituell­e Reinigungs­kraft. In einer Bribri-Legende verwandelt­e der Schöpfergo­tt Sibu einst eine Frau in einen Kakaobaum. Folglich sind es in der matrilinea­ren Gesellscha­ft auch nur Frauen, die das traditione­lle Kakaoritua­l durchführe­n. In dem achtstöcki­gen Kosmos der Bribri haben die Geister von Pflanzen und Tieren ihre eigene Etage. „Respekt vor den anderen Lebewesen ist für uns Bribri selbstvers­tändlich“, sagt Morales. „Wo Bäume und Tiere geachtet werden, ist auch der Mensch glücklich.“Wer Costa Ricas Naturlands­chaften mit dem Pferd erkundet, beginnt langsam, die Welt zumindest ein klein wenig mit den Augen der Bribri zu sehen.

Die Redaktion wurde vom Tourism Board Costa Rica zu der Reise eingeladen.

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FOTOS (2): WIN SCHUMACHER Im Alltag der Bribri-Indianer an der Grenze zu Panama spielen Pferde eine besondere Rolle.
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Nur wenige Schritte trennen im Corcovado-Nationalpa­rk den Regenwald vom Meer.

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