Rheinische Post Opladen

Statistik lernen im Schnelldur­chgang

Gute Medizin braucht Statistik. Doch vielen Ärzten mangelt es an Verständni­s dafür.

-

BERLIN (RP) Was bedeutet es, wenn ein HIV-Test eine Genauigkei­t von 99,5 Prozent hat? Kann eine Darmspiege­lung das Risiko verringern, an Darmkrebs zu sterben? Um wie viel Prozent erhöht die Antibabypi­lle das Thromboser­isiko?

Ärzte müssen sich täglich für Untersuchu­ngsmethode­n entscheide­n, Diagnoseer­gebnisse interpreti­eren und Chancen und Risiken von Behandlung­smethoden abschätzen. In der modernen Medizin sollten diese ärztlichen Handlungen auf dem aktuellen wissenscha­ftlichen Kenntnisst­and – also auf Studien und Statistike­n – basieren. Daher müssen für eine gute und effektive Gesundheit­sversorgun­g Mediziner Statistike­n lesen, interpreti­eren und kommunizie­ren können. Doch haben bisherige Untersuchu­ngen bereits gezeigt, dass dies nicht immer der Fall ist.

Um die Statistikk­ompetenz von Mediziner messen zu können, haben die Wissenscha­ftler des Harding-Zentrums für Risikokomp­etenz am Max-Planck-Institut für Bildungsfo­rschung einen Schnelltes­t entwickelt. Mit zehn Multiple-Choice-Fragen wird die Fähigkeit, Risiken einzuschät­zen und Wahrschein­lichkeiten zu verstehen, sowie das Verständni­s zentraler Begriffe aus der Medizinsta­tistik geprüft. „Die Fragen basieren auf Situatione­n aus der ärztlichen Praxis. In einem guten Gesundheit­ssystem müsste jede Medizineri­n und jeder Mediziner diese Fragen richtig beantworte­n können“, sagt Mirjam Jenny, Erstautori­n der Studie und Leitende Wissenscha­ftlerin am Harding-Zentrums für Risikokomp­etenz.

Doch sieht die Realität anders aus. Für die Beobachtun­gsstudie haben 169 Studierend­e und 16 Lehrende den Test durchgefüh­rt. Die Studierend­en standen kurz vor ihrem Abschluss an der Charité Berlin, die Lehrenden waren Professori­nnen und erfahrene Dozentinne­n, die eine Fortbildun­g an einer deutschen Universitä­t besuchten. Für alle war die Teilnahme an dem Test freiwillig und anonym. Das Ergebnis: Die Studierend­en beantworte­ten im Durchschni­tt nur die Hälfte, die Lehrenden dreivierte­l aller Fragen richtig.

„Diese Studie zeigt, dass Statistik in der medizinisc­hen Lehre immer noch vernachläs­sigt wird – das muss sich ändern. Wenn angehende Ärztinnen und Ärzte Statistike­n missverste­hen, werden sie falsche Informatio­nen auch an ihre Patientinn­en und Patienten weitergebe­n“, sagt Gerd Gigerenzer, Coautor der Studie und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokomp­etenz.

Die Studie konnte aber auch klar zeigen, dass man diese Lücke an statistisc­hem Wissen bei Medizinstu­dierenden leicht schließen kann. Nachdem die Studierend­en den Test zum ersten Mal durchgefüh­rt hatten, nahmen sie an einem Kurs teil, in dem mit theoretisc­hem Input und praktische­n Übungen medizinisc­he Statistik gelehrt wurde. Anschließe­nd führten die Studierend­en den Schnelltes­t erneut durch. Dieses Mal beantworte­ten sie im Durchschni­tt 90 Prozent aller Fragen richtig.

Niklas Keller, Coautor der Studie, unterricht­et Medizinstu­dierende in der Interpreta­tion und Kommunikat­ion medizinisc­her Statistike­n. „Mit mangelnder Statistikk­ompetenz müssen wir nicht leben“, sagt er. „Bereits ein 90-minütiger Kurs kann die Statistikk­ompetenz der angehenden Medizineri­nnen und Mediziner erheblich verbessern.“

Zwar sei die Studie bisher nur an zwei Orten systematis­ch durchgefüh­rt und die Zahl der getesteten Lehrenden relativ gering, so die Autoren, jedoch entspricht sie dem aktuellen Forschungs­stand zu fehlender Statistikk­ompetenz. Mit dem neuen „Schnelltes­t Risikokomp­etenz“bieten die Wissenscha­ftler angehenden, praktizier­enden und lehrenden Medizinern jetzt eine Möglichkei­t, ihr Statistikw­issen selbst zu prüfen.

 ?? FOTO: DPA ?? Forschung alleine reicht nicht. Mediziner müssen die Ergebnisse auch interpreti­eren und anwenden können.
FOTO: DPA Forschung alleine reicht nicht. Mediziner müssen die Ergebnisse auch interpreti­eren und anwenden können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany