Lesung mit kölschen Liedern, die man kennen muss
SCHLEBUSCH Als Bundeskanzler Konrad Adenauer 1950 in Chicago empfangen wurde, war die Entscheidung über eine neue deutsche Nationalhymne noch nicht gefallen. Ersatzweise spielte man zu seinen Ehren „Heidewitzka, Herr Kapitän“von Karl Berbuer. Adenauer soll nicht sonderlich begeistert gewesen sein, dass man ihn mit einem 1936 geschriebenen Karnevalshit begrüßte. Monika Salchert vermutet sogar, dass dieses Ereignis die Sache beschleunigte. Denn es dauerte nur noch ein Jahr, bis die dritte Strophe des Deutschlandliedes zur Melodie von Joseph Haydn offizielle Hymne der jungen Bundesrepublik Deutschland wurde.
Die Journalistin, WDR-Moderatorin und Expertin für kölschen Karneval hat „77 kölsche Lieder, die man kennen muss“ausgewählt und in einem Buch mit diesem Titel gesammelt. Und sie druckte nicht nur die vollständigen Texte dieser Gassenhauer aus dem 20. und 21. Jahrhundert ab, sondern recherchierte dazu die jeweilige Hintergrundgeschichte. „Heidewitzka, Herr Kapitän“ist nur ein Beispiel neben 76 anderen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
In der jüngsten Ausgabe der Reihe Museum Litterale stellte sie die Neuerscheinung, die erst vor 14 Tagen erschienen ist, vor. Und das passenderweise nicht nur im lockeren Vortrag mit Originalzitaten als kölsche „native Speaker“, sondern auch mit Musikbeispielen. Dafür sorgte Veranstalter und Buchhändler Manfred Gottschalk höchstpersönlich mit Gesang und Gitarre, begleitet von Schlagzeug und E-Piano. Und niemand musste die Besucher im Spiegelsaal ausdrücklich zum Mitsingen auffordern, das klappte auch so ziemlich textsicher. Jedenfalls bei den Refrains von „Ene Besooch im Zoo“, „Däm Schmitz sing Frau is durchgebrannt“oder eben „Heidewitzka“. Dazu noch ein Detail: 1936 soll das neue Lied durchaus als Verballhornung des Hitlergrußes verstanden worden sein. Alte Aufnahmen belegen, dass Berbuer die erste Silbe „Hei“gewaltig in die Länge zog, um ein schnelles „dewitzka“hinterher zu schieben. Karnevalslieder sind eben nicht immer so harmlos und unbeschwert heiter, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. nicht nur für Stimmung und ungetrübte Heiterkeit sorgen, sondern durchaus politische Dimensionen haben können.
Uwe Schlösser, hauptberuflich Straßenbahnfahrer der Linie 18, schwärmte 1937 „Die Hüüscher bunt om Aldermaat“, während ebendiese abgerissen wurden im Zuge der großen Martinsviertel-Sanierung der Nazis. 36 Jahre später sangen die Bläck Fööss aus ähnlichen Motiven „Mir looße dr Dom in Kölle“– zentrale Aussage: Die Kirche im Dorf lassen – als der Stadtrat gerade die Sanierung des Severinsviertels beschlossen hatte.
Neben den Geschichten hinter den Liedern macht Monika Salchert auch Texter und Komponisten der Karnevalsschlager bekannt, deren Schicksale durchaus unterschiedlich waren. Neben Berbuer war natürlich Willi Ostermann der bekannteste Lieferant zahlreicher Stimmungslieder, mit denen er den Nerv der Menschen traf. Er war außerdem gewitzter Geschäftsmann, gründete früh seinen eigenen Musikverlag, spielte Schallplatten, auch mit ganzjahrestauglichen Rheinund Weinliedern ein. Er verdiente viel und gab auch viel aus, beispielsweise beim Pferderennen. Horst Muys dagegen verstand sich vor allem aufs Geld ausgeben (Alkohol und Glücksspiel), saß wegen diverser Delikte mehrmals im Klingelpütz, und bei seiner Beerdigung soll es auf dem Melatenfriedhof zur Schlägerei gekommen sein, weil die Totengräber schon mit dem Zuschaufeln begannen, bevor am Grab alle ihre letzte Ehre erweisen konnten.
Monika Salchert: „77 kölsche Lieder, die man kennen muss“, Lübbe-Verlag, 15 Euro.