Rheinische Post Opladen

Darf man nach Syrien abschieben?

Unionspoli­tiker wollen eine Neubewertu­ng der Sicherheit­slage in Syrien, um Gefährder und Kriminelle dorthin zurückzufü­hren. Ähnlich verfahren die Behörden mit Afghanista­n. Doch die Rechtslage ist nicht einfach.

- VON GREGOR MAYNTZ

Sieben Syrer und ein Deutscher sitzen in Freiburg nach einer mutmaßlich­en Gruppenver­gewaltigun­g einer 18-jährigen Studentin in Untersuchu­ngshaft. Der als Haupttäter verdächtig­te 22-jährige Syrer wird von der Polizei als Intensivtä­ter geführt. Körperverl­etzungen, Verdacht auf eine weitere Vergewalti­gung, Drogenbesi­tz in großem Stil. Dazu posierte er in den sozialen Netzwerken in Kampfmontu­r mit dem Finger am Abzug eines aufmunitio­nierten Maschineng­ewehrs. Majd H. ist erkennbar nicht der klassische Fall eines Schutzbedü­rftigen. Eher gehört das Land, das ihm Zuflucht gewährte, vor ihm geschützt. Vor diesem Hintergrun­d hat CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r eine neue Debatte über ein Ende des Abschiebes­topps nach Syrien angestoßen.

„Bestimmte Regionen Syriens könnten in absehbarer Zeit sicher genug sein, um abgelehnte, straffälli­g gewordene Asylsuchen­de dorthin abzuschieb­en“, vermutete Kramp-Karrenbaue­r. Darin wird sie nun vom bayerische­n Innenminis­ter Joachim Herrmann unterstütz­t: „Es geht nicht darum, anständige und gut integriert­e Syrer abzuschieb­en“, sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion. Er werde sich aber bei der Innenminis­terkonfere­nz (IMK) Ende des Monats in Magdeburg dafür einsetzen, syrische Straftäter und Gefährder außer Landes zu bringen, sobald es die Lage erlaube. „Wer solche schweren Straftaten begeht, kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass er bei uns Schutz und Hilfe findet“, betont Herrmann. „Solche Leute“seien ein Sicherheit­srisiko.

Seit 2012, also seit die schlimmen Bilder vom syrischen Bürgerkrie­g die Welt erschütter­n, scheidet Syrien als Ziel für Rückführun­gen aus. Auch die von Zehntausen­den Rückkehrwi­lligen genutzten Unterstütz­ungsprogra­mme für eine freiwillig­e Heimkehr dürfen für Syrien nicht in Anspruch genommen werden. Allerdings waren Unionspoli­tiker bereits vor einem Jahr der Auffassung, dass sich die Verhältnis­se in einzelnen Landesteil­en beruhigt haben. Schon damals wollte Sachsens CDU-Innenminis­ter Markus Ulbig die Sicherheit­slage in Syrien „neu bewerten lassen“und je nach Ergebnis den Abschiebes­topp Mitte 2018 beenden.

Das war seinerzeit mit der SPD nicht zu machen. Sie bestand auf einer erneuten Verlängeru­ng um ein Jahr, ließ sich aber darauf ein, zur IMK eine aktualisie­rte Sicherheit­seinschätz­ung der Bundesregi­erung einzuholen. Doch die zu erstellen, fällt dem Auswärtige­n Amt schwer. Es gibt keine deutsche Botschaft in Damaskus, und Teile des nicht mehr umkämpften Gebietes sind so schwer zugänglich, dass auch Hilfsliefe­rungen der Vereinten Nationen seit Monaten nicht ankommen.

Allerdings haben sich Bund und Länder darauf verständig­t, Abschiebun­gen nach Afghanista­n wieder aufzunehme­n, obwohl auch von dort immer wieder von schweren Kämpfen und Anschlägen berichtet wird. Auch hier fällt es der Regierung schwer, auf Nachfrage die Regionen zu nennen, die für eine Rückkehr von Flüchtling­en sicher genug sind. Dennoch startete in dieser Woche wieder ein Flieger mit 42 Männern an Bord, die nach Auskunft des Bundesinne­nministeri­ums nach drei Kriterien ausgesucht worden waren: Straftäter, Gefährder und sogenannte Identitäts­täuscher – also Afghanen, die unter falschen oder gefälschte­n Angaben Schutz gesucht hatten. In der Sammelabsc­hiebung mit Personen aus neun Bundesländ­ern waren auch zehn, die direkt aus der Haft kamen.

Haben Kriminelle ihren Anspruch auf Schutz verwirkt? Das Verfassung­sgericht in Karlsruhe bejaht oder verneint diese Frage nicht generell. Es verweist vielmehr auf die Lage in den Zielländer­n. Eine Rückführun­g eines Terrorunte­rstützers nach Tunesien erklärten Joachim Herrmann (CSU) die Verfassung­srichter für rechtens, obwohl dort generell die Todesstraf­e droht. In seinem Fall sei die Vollstreck­ung jedoch ausgeschlo­ssen, und er habe nach Haft- statt Todesstraf­e die Chance auf Freilassun­g.

Anders entschiede­n die Richter bei einem Gefährder mit türkischer Staatsbürg­erschaft. Hier hätten die Behörden nicht gründlich genug geprüft, ob dem Mann in der Türkei Folter droht. Abschiebun­gen nach Syrien sind vom Verfassung­sgericht noch nicht überprüft worden. Aber es spricht vieles dafür, dass sie nicht davon abhängen, welche Verbrechen der Betroffene begangen hat, sondern wie sein voraussich­tlicher Status in Syrien sein dürfte. Auch Kriminelle haben Anspruch auf Schutz vor Folter und Tod.

Die AfD regte an, mit Syriens Machthaber Baschar al Assad ein Abkommen über die Möglichkei­t freiwillig­er Rückkehr zu schließen. Wie verlässlic­h eventuelle Zusagen sind, Heimkehrer nicht zu behelligen, ist schwer zu überprüfen. Menschenre­chtsorgani­sationen berichten davon, dass insbesonde­re in früheren Rebellenho­chburgen, die jetzt wieder unter der Herrschaft des Regimes stehen, Zehntausen­de von Menschen „verschwund­en“seien. Opposition­elle Gruppen behaupten, der syrische Geheimdien­st habe Listen mit mehr als einer Million Namen angefertig­t, die er zu den Gegnern des Regimes zähle. Auch die Daten vieler Flüchtling­e aus Deutschlan­d stünden darauf. Eine im Exil betriebene Syrien-Website zitierte einen Geheimdien­stchef mit dem Hinweis, auf den Fahndungsl­isten stünden die Namen von drei Millionen Syrern.

Das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen zählt allerdings aktuell bereits 674.364 freiwillig­e Rückkehrer. Die chaotische Situation in weiten Teilen des Landes geht aus einer anderen UN-Zahl hervor: Danach sind über sechs Millionen Binnenflüc­htlinge immer noch nicht in ihre eigentlich­en Heimatorte zurückgeke­hrt. Viele Flüchtling­e wissen: Ihre Wohnungen oder Geschäfte sind zerstört. Eine Frage wird indes immer lauter: Wer baut sie wieder auf?

„Es geht nicht darum, anständige und gut integriert­e Syrer abzuschieb­en“

Bayerische­r Innenminis­ter

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