Personalmangel – jedes vierte Verfahren wird eingestellt
BERLIN Die Länder fordern vom Bund finanzielle Hilfe für mehr Richterstellen. „Es kann nicht sein, dass der Bund im Koalitionsvertrag 2000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte beschließt und die Länder das alleine umsetzen und bezahlen sollen“, sagte der Vorsitzende der Justizministerkonferenz, der Thüringer Ressortchef Dieter Lauinger (Grüne), unserer Redaktion. Er betonte, auch die Länder seien dafür, die Justiz besser auszustatten. Die Aufgaben nähmen zu, die Verfahren stapelten sich bei den Gerichten. „Aber wir als Länder fordern den Bund auf, sich an den Kosten für die 2000 neuen Stellen in erheblichem Umfang und langfristig zu beteiligen“, sagte Lauinger. Denn ein solches Projekt verursache finanziellen Bedarf für 40 Jahre.
Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD unter der Überschrift „Pakt für den Rechtsstaat“auf 2000 neue Richterstellen geeinigt. Dabei verwiesen sie darauf, dass die Länder damit begonnen hätten, mehr Justizpersonal einzustellen. Diesen Satz muss man so interpretieren, dass sich der Bund bei den Ländern eben nicht in der Pflicht sieht, für mehr Justizpersonal zu sorgen.
Der Richterbund verweist seit Jahren auf die Dringlichkeit von mehr Personal an den Gerichten. „Mit dem Rechtsstaatspakt besteht jetzt die Chance, die chronischen Personalsorgen in Gerichten und Staatsanwaltschaften nachhaltig zu beheben“, sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Aus seiner Sicht reicht es aber nicht, allein mehr studierte Juristen einzustellen. Erforderlich sei ein Dreiklang aus mehr Personal, besserer technischer Ausstattung der Gerichte und einem effizienteren Verfahrensrecht, betonte Rebehn.
Der Richterbund verwies insbesondere auf die erhebliche Überlastung der Gerichte. So hat die Zahl der nach Ermessensvorschriften eingestellten Strafverfahren nach Angaben des Deutschen Richterbundes deutlich zugenommen. Dabei geht es um Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft zwar einen hinreichenden Tatverdacht sieht, das Verfahren gegen den Beschuldigten aber zum Beispiel wegen Geringfügigkeit einstellt. „Die Zahl dieser Einstellungen ohne Auflagen ist zwischen 2007 und 2017 um rund 180.000 auf mehr als 1,2 Millionen gestiegen. Inzwischen stellen die Staatsanwaltschaften jeden vierten Fall auf diese Weise ein“, hieß es vom Richterbund.
Der Richterbund verweist auch auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, wonach 77 Prozent der Bürger der Meinung sind, dass die Gerichte überlastet seien. 83 Prozent geben an, dass die meisten Verfahren in Deutschland zu lange dauern. „Neben einer stark belasteten Strafjustiz benötigen insbesondere auch die Verwaltungsgerichte weiterhin Hilfe“, betonte Rebehn.