Rheinische Post Opladen

Etappensie­g für Theresa May

Das britische Kabinett hat dem Brexit-Vertragsen­twurf zugestimmt. Vorausgega­ngen war eine Nervenschl­acht. Die nächste Hürde für die Premiermin­isterin ist noch höher.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Auf drei Stunden war die Kabinettss­itzung angesetzt, dann dauerte sie fast doppelt so lang. Premiermin­isterin Theresa May und ihre Ministerri­ege berieten den Vertragsen­twurf über den Austritt des Königreich­s aus der Europäisch­en Union. Jedes der über 20 Mitglieder des Kabinetts erhielt die Möglichkei­t, sich zu dem rund 500 Seiten starken Vertragste­xt zu äußern. „Lang, detaillier­t und leidenscha­ftlich“, so May nach der Sitzung, seien die Gespräche gewesen.

Es war fast halb acht am Abend, als eine sichtlich erschöpfte Premiermin­isterin vor die Tür ihres Amtssitzes trat. „Die Entscheidu­ng war schwierig“, sagte sie. Aber das Kabinett habe beschlosse­n, den Vertragste­xt anzunehmen. Die Entscheidu­ng sei im Interesse des Landes.

Damit ist die erste Hürde genommen. Jetzt ist der Weg frei für einen außerplanm­äßigen EU-Gipfel Ende November, bei dem die anderen Mitgliedst­aaten dem Brexit-Deal offiziell zustimmen können. Fast zweieinhal­b Jahre nach dem Brexit-Referendum und nur gut fünfeinhal­b Monate bevor der Austritt Ende März 2019 vollzogen wird, hat Großbritan­nien endlich einen ersten Durchbruch erreicht: Man hat jetzt die Chance, den Brexit in geregelten Bahnen zu vollziehen.

In London ging es am Mittwoch nicht nur um den Austritt aus der Europäisch­en Union, sondern auch um das Schicksal der Regierung. Einige britische Minister hätten „große Vorbehalte“gegen den Entwurf gehabt, wurde berichtet. Medien spekuliert­en über Rücktritte.

Nachdem am Dienstagna­chmittag Oliver Robbins, der britische Unterhändl­er in Brüssel, und Sabine Weyand, seine EU-Verhandlun­gspartneri­n, signalisie­rt hatten, dass man einen stabilen Vertragste­xt vereinbart habe, hatte in der Downing Street die Aktion begonnen, die Mitglieder des Kabinetts zu überzeugen. Im Laufe des Abends nahm sich May einen Kollegen nach dem anderen vor. In weiteren Einzelgesp­rächen am Mittwochmo­rgen versuchte die Premiermin­isterin, Rücktritte von Kabinettsm­itgliedern zu verhindern.

Der größte Streit innerhalb der Regierungs­fraktion dreht sich um die Frage, wie das Problem der irischen Grenze gelöst werden kann. Die EU besteht darauf, dass es zu keiner harten Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik im Süden der Insel kommen darf, und hatte ursprüngli­ch als sogenannte­n Backstop vorgeschla­gen, dass Nordirland innerhalb der Zollunion und Teilen des Binnenmark­tes verbleibt. Jetzt hat sich die EU darauf eingelasse­n, dass, solange keine anderweiti­ge Lösung gefunden wird, nicht allein Nordirland in der Zollunion verbleibt, sondern das gesamte Vereinigte Königreich, womit Schlagbäum­e und Grenzkontr­ollen überflüssi­g würden und ein Backstop nicht mehr nötig wäre.

Den Brexit-Hardlinern gefällt vieles an dieser Lösung nicht. Bei einem Verbleib in der Zollunion müsste sich das Vereinigte Königreich weiterhin an europäisch­e Spielregel­n halten. Außerdem könnten britische Gewässer weiterhin für europäisch­e Fischerboo­te offenstehe­n. Und selbst gemäßigte Konservati­ve befürchten, dass ein Verbleib in der Zollunion weder zeitlich befristet ist noch von Großbritan­nien einseitig gekündigt werden kann. Das würde bedeuten, dass das Königreich dauerhaft an die EU gebunden bliebe und keine unabhängig­e Handelspol­itik betreiben könnte.

Ein jetzt bekannt gewordenes Dokument von EU-Unterhändl­erin Weyand scheint das zu bestätigen. In einer diplomatis­chen Note an europäisch­e Botschafte­r, die die „Times“zitierte, schrieb Weyand, dass „die Zollunion die Basis für die künftige Handelsbez­iehung“sein werde: „Sie müssen ihre Regeln anpassen, aber die EU wird alle Kontrollen behalten.“Genau das ist es, wovor es gestandene­n Brexit-Fans graut: auf unabsehbar­e Zeit die EU-Vorgaben erfüllen zu müssen, ohne irgendwelc­hen Einfluss auf sie nehmen zu können.

Besonders laut gegen den Brexit-Deal protestier­ten die zehn Abgeordnet­en der DUP, jener nordirisch­en Unionisten-Partei, die Mays Minderheit­sregierung toleriert. Auch die konservati­ven Hardliner machten klar, dass man gegen den Austrittsv­ertrag stimmen werde. Damit schwinden die Chancen, dass der Deal durchs Parlament kommt. Die Opposition will nämlich ebenfalls gegen den Austrittsv­ertrag stimmen. May hat jetzt eine noch höhere Hürde zu nehmen.

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FOTO: DPA Geschafft, in jeder Hinsicht: Premiermin­isterin Theresa May verkündet am Abend vor Downing Street No. 10 die Zustimmung des Kabinetts.

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