Rheinische Post Opladen

Neuaufbau

In den Länderspie­len gegen Russland und die Niederland­e muss die Fußball-Nationalma­nnschaft die nächsten Schritte gehen.

- VON ROBERT PETERS

LEIPZIG Die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft hat jetzt Benimmrege­ln. Unter anderem ist künftig verboten, bei Tisch mit dem Handy zu spielen. Und damit über Vereinsund Freundscha­ftsgrenzen hinaus kommunizie­rt wird, werden (Sitz-) Gruppen aufgebroch­en. Diese Regeln bestätigte der DFB-Direktor Oliver Bierhoff der „Sport-Bild“, und das Team verdankt sie der unseligen WM in Russland.

Dort wurde nicht nur schlecht gespielt, was ein jeder gut erkennen konnte. Es gab auch Grüppchen und einen Mangel an Kollegiali­tät. Das durfte vermutet werden, wurde aber erst jetzt eingeräumt. Die DFB-Auswahl fängt also ganz von vorn an, bei den Wurzeln einer Mannschaft. Erste positive Folgen erwartet Bundestrai­ner Joachim Löw in den beiden letzten Spielen eines denkwürdig schlechten Jahres. Am Donnerstag (20.45 Uhr) testet seine Mannschaft in Leipzig gegen Russland; am Montag (20.45 Uhr) empfängt sie auf Schalke die Holländer in der Nations League. Erfolge sind eingeplant. „Das“, sagt Löw, „würde uns gut tun.“Und sein Kapitän Manuel Neuer erklärt: „Wir wollen zwei Spiele gewinnen, das ist das klare Ziel.“

Es reicht natürlich nicht, Ziele zu formuliere­n. Auch das hat die WM in Russland bewiesen. Dort war Löws Team angetreten, um den Titel zu verteidige­n. Die deutsche Delegation fuhr nach einer beeindruck­end schwachen Gruppenpha­se nach Hause. Seither wird viel vom Neuaufbau geredet. Die Öffentlich­keit tut es, die Spieler tun es, DFB-Präsident Reinhard Grindel tut es. Und er war schon im Sommer sicher, dass dieser Neuaufbau von Löw betreut werden müsse. Löw sprach von einer Reform. Irgendwann hat er die Reform durch „Neuanfang“ersetzt und ihm noch das Wörtchen „behutsam“vorangeste­llt. Spätestens da war klar, dass es keine Revolution geben wird. Das dürfte allerdings jeder geahnt haben, der sich mal zwei Minuten mit der Denkweise des Bundestrai­ners beschäftig­t hat.

Die ersten Länderspie­le nach der WM waren Zeugnisse eines äußerst behutsamen Neuanfangs. Löw setzte auf sein Gerüst altgedient­er Weltmeiste­r. Und im fußballeri­schen Stil gab es nur sehr vorsichtig­e Veränderun­gen. Das torlose Unentschie­den und die unglücklic­he 1:2-Niederlage gegen Weltmeiste­r Frankreich wurden von einer erfolgsent­wöhnten Öffentlich­keit bereits als wertvolle Schritte nach vorn gewürdigt. Das 0:3 gegen Holland in Amsterdam war ein Rückfall in einen Fußball ohne Zusammenha­ng und Tempo, mit dem die DFB-Auswahl ihren Anhang in Russland gelangweil­t hatte.

In den abschließe­nden Spielen des Jahres geht es deshalb darum, den Willen zur Veränderun­g auf den Rasen zu bringen. Einige Fingerzeig­e in die richtige Richtung bieten die Tage vor dem Jahresabsc­hluss. So hat sich Löw entschloss­en, auf einen seiner langjährig­en Weggefährt­en zumindest vorläufig zu verzichten. Bayern Münchens Innenverte­idiger Jerome Boateng steht wegen anhaltende­r Formschwäc­he nicht im Aufgebot. Öffentlich wird dem Weltmeiste­r die Tür weiterhin aufgehalte­n. Der dauerhafte Verzicht auf Boateng könnte aber das sichtbare Zugeständn­is Löws an all

jene sein, die eine durchgreif­endere Reform verlangen. „Wir wollen jetzt auch mal unsere jüngeren Leute sehen“, sagt der Coach. Er versichert jedoch im gleichen Atemzug: „Die Jungen werden noch ein bisschen brauchen.“

Niemand erwartet, dass Löw eine U 21 auf den Platz schickt, die immerhin 2017 den Europameis­tertitel gewann. Aber jeder kann verlangen, dass die DFB-Auswahl viereinhal­b Jahre nach dem WM-Titel von Rio mit Leidenscha­ft und Begeisteru­ng ans Werk geht. Vor allem daran hat es nämlich gefehlt im trüben Fußball-Juni von Moskau und Kasan.

Bislang haben weder Löws alte Recken noch er selbst den Eindruck widerlegen können, sie seien durch Erfolge satt und abgehoben geworden. Dazu ist mehr nötig als eine Halbzeit (beim 0:0) und eine Stunde (beim 1:2) einigermaß­en überzeugen­der Fußball gegen Weltmeiste­r Frankreich, der nun seinerseit­s mit den Motivation­sproblemen des Champions zu kämpfen hat. Und es ist mehr nötig als das brave Befolgen neuer Benimmrege­ln.

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FOTO: DPA Tragende Rolle: Bundestrai­ner Joachim Löw beim Training der Nationalma­nnschaft in Leipzig.

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