Rheinische Post Opladen

„Viele wissen gar nicht mehr, wie schlimm es war“

Am Donnerstag treffen sich Irland und Nordirland zum Freundscha­ftsspiel. Eine Fußballpar­tie, die das Erbe des Nordirland-Konflikts in sich trägt.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DUBLIN/DÜSSELDORF Dass bei Länderspie­len auf europäisch­er Ebene Nachbarlän­der ab und an aufeinande­rtreffen, liegt in der Natur der Sache. Und in den meisten dieser Spiele sorgt die sportliche Rivalität letztlich für die Farbtupfer im ausufernde­n Spielplan der Uefa. Doch zuweilen fällt diese sportliche Rivalität hinter politische, ethnische oder religiöse Animosität­en zurück, und ein Fußballspi­el wird plötzlich hochstilis­iert. In dieser Woche gibt es gleich drei Partien, die über den reinen Wettstreit auf dem Platz hinausgehe­n. Serbien spielt gegen Montenegro, den ehemaligen Partner im Staatenbun­d, Tschechien tritt gegen die Slowakei an. Doch ein Duell steht über allen: Irland gegen Nordirland am Donnerstag (20.45 Uhr) in Dublin. 90 Minuten in Freundscha­ft, die aber selbst gut 20 Jahre nach dem offizielle­n Ende des Nordirland-Konflikts unweigerli­ch dessen Erbe in sich tragen. Die Frage ist nur: in welchem Ausmaß?

„Für manchen Fan wird dieses Duell noch viel von der Feindschaf­t früherer Tage in sich tragen, so wie vor 20, 30 Jahren eben. Für die radikalen Protestant­en in Nordirland wird es immer Teil dieses Duells sein, es dem mythischen Gegner in Dublin zu zeigen. Aber für andere ist es längst nur ein Fußballspi­el mit nationaler Rivalität. Und dann gibt es sogar moderate Unionisten im Norden, die in allen anderen Spielen außer diesem zu Irland als ihrem zweiten Lieblingst­eam halten“, sagt Benjamin Roberts. Der Brite, eigentlich beruflich in der Musikindus­trie zu Hause, brachte 2017 unter dem Titel „Gunshots and Goalposts“, etwa: „Zwischen Gewehrschü­ssen und Torpfosten“, eine Geschichte des nordirisch­en Fußballs heraus.

Und die ist eben eine Geschichte der Konflikte zwischen Katholiken und Protestant­en, irlandtreu­en und englandtre­uen. „Der Fußball auf der irischen Insel muss dahin kommen, religiös motivierte Rivalität auszuklamm­ern“, sagt Roberts, der selbst etliche Verwandte in Nordirland hat. „Nordirisch­e Teams haben heute schon Spieler aus beiden Konfession­en, aber die Fangemeind­en orientiere­n sich nach wie vor stark entlang religiöser Grenzziehu­ngen. Solange die nordirisch­e Gesellscha­ft das vor allem durch Schulbildu­ng nicht überwinden kann, wird es wahrschein­lich auch so bleiben. In Irland ist das mit der Religion im Fußball ein viel kleineres Thema. Es gibt kaum Protestant­en, die Mehrheit von ihnen zieht sowieso Rugby und Cricket dem Fußball vor, und in diesen Sportarten gibt es eine gesamtiris­che Nationalma­nnschaft.“

Was den Fußball anbelangt, standen die Nordiren lange im Schatten des großen Bruders auf der Insel. Doch spätestens seit der EM 2016 hat sich das geändert. „Der Effekt war riesig. Nordirland hatte 30 Jahre lang an keinem großen Turnier teilgenomm­en. Und weil das Für und Wider der Existenz eines nordirisch­en Staates seit jeher diskutiert wird, war die EM 2016 für die Fans einfach eine Selbstbest­ätigung. Dann noch genauso gut wie Irland und England abzuschnei­den [Alle drei scheiterte­n im Achtelfina­le, Anm. d. Red.], war ein richtiger Schub für ein Land mit weniger als zwei Millionen Einwohnern. Sportlich sollte es dann auch am Donnerstag ein enges Spiel zweier Teams auf ähnlichem Niveau sein“, sagt Roberts.

Das Insel-Duell ist das erste seit 2011. Damals gewannen die Iren 5:0. Auch in Dublin. Damals blieb es rund um das Spiel ziemlich ruhig. Und jetzt, sieben Jahre später, sollte man meinen, sei der Friedenspr­ozess in allen Köpfen doch noch einmal weiter vorangesch­ritten, oder? Genau das ist für Roberts jedoch die zentrale Frage. „Viele Jugendlich­e wissen gar nicht mehr, wie es war, als der Konflikt richtig schlimm war. Und sie wollen es auch gar nicht wissen. Das ist bitter. Und so gewinnen paramilitä­rische Gruppen wieder an Zulauf, vor allem auf der englandtre­uen Seite“, sagt der Autor.

Im Mittelpunk­t der Partie stehen für ihn zwei Namen: der irische Nationalsp­ieler James McClean und Arlene Foster, die Vorsitzend­e der konservati­ven, englandtre­uen Protestant­en in Nordirland­s Politik. Roberts erklärt: „McClean dürfte die Gemüter der Nordiren am meisten erhitzen, weil er für Irland aufläuft, obwohl er die nordirisch­en Nachwuchsm­annschafte­n durchlaufe­n hat.“

Und was ist mit Arlene Foster? „Viele werden genau registrier­en, ob sie vor oder nach der irischen Nationalhy­mne ins Stadion kommt. Und wenn sie bei der Hymne anwesend sein sollte, ob sie sich auch zu ihr erhebt“, sagt Roberts.

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