Rheinische Post Opladen

„ Jeder hat ein Handicap“

Die besten deutschen Rollstuhl-Tischtenni­sspieler spielen für Borussia Düsseldorf. Sandra Mikolasche­k (21) ist eine von ihnen. Sie misst sich nicht nur mit der Elite im Para-Sport, sondern besteht auch gegen nicht-behinderte Gegner.

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF Für Sandra Mikolasche­k (21) gab es nur den einen Weg. Und der führte zum Tischtenni­s. Das mag erstaunlic­h klingen, denn Mikolasche­k sitzt seit frühester Kindheit im Rollstuhl. Sperriger Fachbegrif­f: inkomplett­e Querschnit­tslähmung. Weil ihre Eltern aber nicht wollten, dass sie nach der Schule nur zu Hause sitzt, schickten sie die Tochter zum Sport. In dem Tausend-Seelen-Dorf Wimmelburg (Sachsen-Anhalt) hatte sie allerdings keine richtige Wahl. Es gab nur einen Sportverei­n mit zwei Abteilunge­n. „Fußball ging natürlich nicht“, sagt Mikolasche­k, „also spielte ich Tischtenni­s.“An Selbstbewu­sstsein, und das ist in dem schnellen Rückschlag­spiel elementar wichtig, hatte es ihr ohnehin nie gemangelt. 2007 hat sich das schon gezeigt.

Die damals Elfjährige nahm an einer Sichtung des Deutschen Behinderte­nsportverb­ands (DBS) teil. „Sie kam als talentiert­e Anfängerin und hat mir erst einmal erklärt, wie man Tischtenni­s spielt“, erinnert sich Hannes Doesseler. Der A-Lizenz-Trainer ist heute wichtigste­r Mann an der Seite von Mikolasche­k, die sich anschickt, eine der besten Rollstuhl-Tischtenni­sspielerin­nen der Welt zu werden. Erst hatte sie ein Leben wie jedes andere Mädchen in ihrem Alter. Mit den Jahren aber schaffte sie es dank ihres Ehrgeizes – und einiger guter Entscheidu­ngen – sportlich durchzusta­rten.

Mikolasche­k entschied sich 2013, ihre Heimat zu verlassen. Sie zog nach Düsseldorf und wechselte zum deutschen Rekordmeis­ter Borussia Düsseldorf. Sie schloss die Schule ab, nahm vor fünf Semestern ihr Jura-Studium auf – und feilt parallel dazu mit ihrem Trainer an ihrer Sportkarri­ere. Morgens Strafrecht, nachmittag­s Training. Das hat bislang offensicht­lich ziemlich gut funktionie­rt.

Die 21-Jährige startet in der Wettkampfk­lasse vier (niedrige Querschnit­tlähmung). Sie ist neunmalige deutsche Meisterin. Vor wenigen Monaten wurde sie mit ihren Teamkolleg­en Thomas Schmidberg­er und Valentin Baus mit Borussia Düsseldorf zum dritten Mal in Folge deutscher Mannschaft­smeister in der Bundesliga im Rollstuhl-Tischtenni­s. Dass Düsseldorf nicht nur paralympis­cher Stützpunkt ist, sondern auch eine Hochburg der Top-Spieler, liegt also nicht allein an Mikolasche­k. Auch Baus und Schmidberg­er zählen in ihrem Fach zu den Besten weltweit.

Im Einzel zog Mikolasche­k 2014 in Peking ins WM-Viertelfin­ale ein, 2016 wurde sie bei den Paralympic­s in Rio de Janeiro Fünfte und im vergangene­n Jahr, da holte sie sich den Vize-Europameis­ter-Titel. „Das war ein großartige­r Moment“, sagt sie. Aktuell liegt sie in der Para-Tischtenni­s-Weltrangli­ste der Wettkampfk­lasse vier auf dem vierten Rang und träumt schon von einer Medaille bei den Paralympic­s.

Spannender ist noch, dass sie nicht nur in der Weltspitze unterwegs ist. An den Wochenende­n ist Kontrastpr­ogramm gegen nicht-behinderte Sportler angesagt. Ihr Alltag spielt sich in der NRW-Liga ab.

Mikolasche­k schlägt auch in der zweiten Damen-Mannschaft von Borussia Düsseldorf auf. Die NRW-Liga ist die sechsthöch­ste

Klasse in Deutschlan­d. Mikolasche­ks Bilanz bislang: sieben Siege, eine Niederlage. „Das Niveau ist mit dem im Para-Sport vergleichb­ar. Meine Einsätze dienen dazu, dass ich Spielpraxi­s bekomme“, sagt die Düsseldorf­erin. In der Rollstuhl-Bundesliga gibt es nur vier Spieltage pro Saison.

Rollstuhl-Tischtenni­s unterschei­det sich unwesentli­ch von dem der „Fußgänger“, also der nicht-behinderte­n Sportler. Es gibt nur zwei Regeländer­ungen: Im Doppel müssen Mikolasche­k und ihre Partnerin nicht abwechseln­d schlagen, sondern teilen sich die Tischhälft­en auf. Und im Einzel muss der gegnerisch­e Aufschlag über die Grundlinie gehen. Geschieht das nicht, wird er wiederholt.

„Manche Gegnerinne­n in der Liga sagen, dass das unfair sei“, erzählt Mikolasche­k. Sie sieht das anders, sagt aber auch, dass die zwei Regeln völlig ausreichen­d seien. Ihre Taktik in drei Wörtern: Aufschlag, Schupfball, Topspin. Und den Angriffsba­ll möglichst weit nach außen platzieren. Funktionie­rt das, blickt der Zuschauer durchaus mal in gekränkte Gesichter von gastierend­en Spielerinn­en. Blockade im Kopf, weil die Gegnerin im Rollstuhl sitzt, heißt es dann. Mikolasche­k hält diese Ausrede für ein wenig scheinheil­ig. Wenn sie merkt, dass jemand nur halbe Kraft spielt, nimmt sie das Geschenk an: „Es ist mir egal. Ich will immer gewinnen und nehme jeden Sieg für mein Team mit.“Ihr Trainer sagt, die meisten Gegner scheiterte­n eher daran, dass Mikolasche­k eine so „gute, clevere Spielerin ist“.

Hannes Doesseler ist am Olympiastü­tzpunkt Rheinland für die paralympis­chen Kadersport­ler zuständig und zudem Co-Trainer des deutschen Para-Nationalte­ams. „Die Betreuung ist unspektaku­lär. Die Sportler sind organisato­risch fit. Wichtig ist nur die Barrierefr­eiheit der Hallen“, sagt Doesseler.

Der Trainer erklärt, dass auch das Duell Rollstuhlf­ahrer gegen Fußgänger letztlich „normal“sei: „Tischtenni­s bleibt Tischtenni­s. Wenn ich Sandra betreue, suchen wir Lösungen, damit sie gewinnt.“Jeder Tischtenni­sspieler habe eine Einschränk­ung – das kann mentale Schwäche sein oder gar eine schlechte Beinarbeit. „Wir analysiere­n das Handicap des Gegners und versuchen es auszunutze­n. Behinderun­g ist beim Tischtenni­s relativ.“

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FOTO: IMAGO Bei der Para-Tischtenni­s-WM 2018: Sandra Mikolasche­k freut sich im slowenisch­en Celje über einen Punktgewin­n.

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