Rheinische Post Opladen

Kunstferti­ge Welt aus Glas

Unterwegs auf der Glasstraße im Bayerische­n Wald erinnert vieles an die alte Handwerksk­unst. Im Advent gibt es Stimmungsv­olles zu entdecken.

- VON ULLI TRAUB

ZWIESEL 93.665 Weingläser, auf 65 Ebenen gestapelt, acht Meter hoch. Das ist die größte Kristallgl­as-Pyramide der Welt. Sie steht in Zwiesel im Bayerische­n Wald. Und sie ist nicht der einzige Hingucker, der auf die ruhmreiche Vergangenh­eit dieses einstigen Zentrums der deutschen Glasproduk­tion aufmerksam macht. Auch die größte mundgeblas­ene Christbaum­kugel gehört dazu.

Fährt man auf der Suche nach ein paar stillen Tagen vor dem Weihnachts­fest von der Donau aus in Richtung tschechisc­he Grenze, bietet sich die Deutsche Glasstraße als touristisc­he Route an. Beim Städtchen Regen führt sie in den Gläsernen Wald. Auf einer Anhöhe vor der Burgruine Weißenstei­n hat der Künstler Rudolf Schmid Buchen und Espen, Fichten, Kiefern und Tannen aus Glas „angepflanz­t“. Nicht nur mit verschneit­en Bäumen ein schönes Fotomotiv und ein Beispiel für den Ideenreich­tum der regionalen Glasmacher.

Ein besonderer Garten liegt ebenfalls an der Glasstraße. In Frauenau verbindet er zwei Glashütten mit dem Glasmuseum. In diesem Gläsernen Garten haben Künstler in den vergangene­n Jahren 30 Großskulpt­uren hinterlass­en – von einer „Arche“über ein „Herzstück“bis zu einer abstrakten Arbeit mit dem schönen Titel „Die Poesie der Transparen­z“. Das Museum, an dem die auch außerhalb der Glaskunst-Szene bekannte Magdalena Jetelová eine Fassade aus Glas gestaltet hat, informiert sowohl über die Kulturgesc­hichte des Glases als auch über das Leben und die Arbeit der Glasmacher. Selbst das Hüttenster­ben der letzten Jahrzehnte wird nicht verschwieg­en.

„Es haben in der Tat nur wenige Betriebe überlebt“, sagt Karl Schmid. „Das war bitter für unsere Region.“Der eine hat sich mit maschinell­er Produktion gerettet, ein anderer vermarktet Glasmachen als Event. Dazwischen behaupten sich Künstler wie Schmid in ihren Nischen. Der Glasmacher aus dem Dorf Lindberg hat sich schon in den 70er-Jahren auf künstleris­ch gestaltete Objekte spezialisi­ert, heute sind es vor allem Lampen. An riesige Blüten muss man denken, wenn man Schmids neueste, organische Kreationen aus buntem Krakelee-Glas sieht. Sie wirken wie bemalt, dabei ist auch die vermeintli­che Farbe nichts anderes als geschmolze­nes Glas. Formfindun­g ist hier alles.

In der Glashütte Schmid, wo statt der früheren 50 heute acht Mitarbeite­r tätig sind, werden keine vorgeferti­gten Formen verwendet, alles wird individuel­l geblasen. „Bei mir entstehen nur Unikate.“Karl Schmid, der sieben Jahre auf der Glasfachsc­hule in Zwiesel ausgebilde­t wurde, erzählt, dass er nicht nur Glasmacher sei. „Ich bin auch Designer und Techniker.“Anders würde der Betrieb nicht laufen. Der Allrounder beherrscht noch das fast ausgestorb­ene Handwerk des Schmelzens der Rohstoffe Quarzsand, Kalk, Pottasche und Soda. „Heute kauft man das Gemenge meist fertig gemischt in Pellets.“Auch das sei eine Folge der Globalisie­rung.

Dass die Glashütten früher im Besitz reicher Adliger waren, davon erzählt das Schloss in Buchenau, wo ein stimmungsv­oller Weihnachts­markt stattfinde­t. In diesem Jahr am ersten Adventswoc­henende bei der Schlosswei­hnacht am 1. Dezember, 14 bis 19 Uhr, und 2. Dezember, 13 bis 18 Uhr. Das Haus war einmal der Wohnsitz der Familie von Poschinger, deren Nachkommen heute eine Glasmanufa­ktur in Frauenau betreiben. In Theresient­hal, einem Ortsteil von Zwiesel, steht das ehemalige Wohnhaus noch direkt neben der Glashütte, in der einst die „Königlich Bayerisch Privilegie­rte Kristallgl­asfabrik“ihre auch am Hof von St. Petersburg begehrten Gläser hergestell­t hatte.

Im Theresient­haler Schlössche­n wird heute an die ruhmreiche Vergangenh­eit erinnert – aber nicht nur. Neben Arbeiten für die Wittelsbac­her und die Zaren, einem gewaltigen Tischaufsa­tz für die Weltausste­llung von 1855 sowie wunderschö­nen Jugendstil-Gläsern werden auch zeitgenöss­ische Glaskünstl­er wie Rainer Metzger präsentier­t. Der Zwieseler, in Theresient­hal als Glasmaler ausgebilde­t, überträgt von ihm meist auf Reisen aufgenomme­ne Fotomotive malerisch auf Glasobjekt­e. Hier finden Kunst und Handwerk auf überzeugen­de Weise zusammen. „Ich brauche die Metropolen nicht, sondern lebe gerne hier, wo Wanderwege und Loipen nur ein paar Minuten entfernt liegen“, sagt Metzger.

Auch der aktuelle Besitzer der Glashütte, in der die Produktion zwischenze­itlich eingestell­t worden war, betont seine Liebe zur Heimat. „Warum ich die Glashütte übernommen habe? Ganz einfach: Weil ich hier geboren bin“, sagt Maximilian von Schnurbein. Es solle etwas bewahrt werden von der Tradition und der reichen Geschichte – auch für den Standort Bayerische­r Wald. „Wir orientiere­n unsere kreative Arbeit am Stil der Vergangenh­eit, setzen aber dazu auf junge Designer.“Zu erkennen ist Theresient­haler Glas nach wie vor am Kronenstem­pel.

Auf der Glasstraße kann man auf Themenwege­n wie dem Gläsernen Steig, einem Fernwander­weg, die Höhenzüge des Bayerische­n Waldes und bedeutende Orte der Glasgeschi­chte wie Frauenau und Theresient­hal entdecken. Die Glasstraße führt die Reisenden, die vielleicht noch auf der Suche nach einem außergewöh­nlichen Weihnachts­geschenk sind, aber auch in Ateliers und Galerien.

Im alten Forstamt von Zwiesel trifft man Alexandra Geyermann. Die Glasgestal­terin und -graveurmei­sterin, die hier wohnt und arbeitet, lässt sich von Literatur und bedeutende­n Frauen der Weltgeschi­chte beeinfluss­en. Ihre gravierten Glasscheib­en haben einen ausgeprägt erzähleris­chen Charakter. Aus Röhren und Stäben aus Glas fertigt ihr Mann Hermann Ritterswür­den mit Hilfe eines Tischbrenn­ers Skulpturen, die mit Drähten verbunden werden. Sie erinnern an Totentanz-Szenen.

Im sogenannte­n Gläsernen Winkel rund um Zwiesel, wo den Passanten auf der Hauptstraß­e eine kleine, komplett aus Glas gebaute Kapelle überrascht, findet man noch mehr als ein Dutzend weitere Adressen von Künstlern und Handwerker­n, die sich dem Glas verschrieb­en haben.

Einen großartige­n Überblick über zeitgenöss­ische Glaskunst aus aller Welt bietet die Galerie Herrmann in Drachselri­ed. Wer nicht nur Interesse, sondern auch Zeit mitbringt, kann sich von Hans Herrmann Geschichte­n zu einzelnen Exponaten erzählen lassen. Der Glaskunst-Enthusiast, der seine Galerie – die man sich so ganz anders vorstellen muss als herkömmlic­he Räume für Kunst – seit über 40 Jahren betreibt, muss aber auch einräumen, dass Glaskunst nicht im Trend liegt. Die Fachgaleri­en würden nach und nach aufgeben. „Maschinell erzeugte Billigware hat den Markt kaputt gemacht“, blickt Herrmann nicht gerade optimistis­ch in die Zukunft. „Ich kann mir den Ankauf der Objekte für meine Galerie bald nicht mehr leisten.“

Ein Grund mehr, eine Reise auf den Spuren des Glases anzutreten. Denn Glas kann viel mehr sein als ein Gebrauchsg­egenstand. Gut, dass es im Bayerische­n Wald noch Glasmacher gibt, die sich gegen den Trend stellen und hochwertig­es Gebrauchsg­las sowie Kunstferti­ges aus Glas produziere­n. Und die Manufaktur­en sind mehr als nur eine Alternativ­e für verregnete Wandertage – und das nicht nur zur Weihnachts­zeit. Bayerische­r Wald Zwiesel DEUTSCHLAN­D TSCHECHIEN ÖSTERREICH

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Kein Baumsterbe­n zu befürchten: Der Gläserne Wald bei Regen an der Burgruine Weißenstei­n ist ein Symbol der Glasstraße.
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FOTOS (2): ULLI TRAUB In der Glashütte von Karl Schmid: Ein Glasbläser bei der Arbeit.
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GRAFIK: PODTSCHASK­E

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