Rheinische Post Opladen

Zum Weihnachts­fest landet der Kleine Prinz auf der Erde. So beginnt die wundersame Fortsetzun­g einer weltberühm­ten Geschichte.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Die erste Frage ist die: Soll man das und darf man das überhaupt? Nämlich eine Fortsetzun­g des Kleinen Prinzen schreiben, eines der berühmtest­en Bücher der Welt und mit über 140 Millionen verkauften Exemplaren auch eins der meistgeles­enen. Das hat sich Kinderund Jugendbuch­autor Martin Baltscheit auch gefragt, als der KarlRauch-Verlag – der deutsche Verlag des Kleinen Prinzen – bei ihm anrief mit der Bitte um eine Fortschrei­bung. Und als Baltscheit­s Tochter dem Vater Größenwahn attestiert­e, machte er sich an die Arbeit.

Das Buch konnte aber nur deshalb gelingen, weil es eben keine richtige Fortsetzun­g ist und vor allem keine Imitation. Der Prinz wird also kein zweites Mal ausgequets­cht, um die Welt mit neuen rührselige­n Geschichte­n anzureiche­rn. Stattdesse­n erzählt Baltscheit eine neue und aktuelle Geschichte, eine, die bei uns spielt und die auch mit dem Werk des prämierten Autors und Zeichners zu tun hat. Das ist vielleicht auch der tollste Einfall: dass Baltscheit dem Kleinen Prinzen die freche Krähe zur Seite stellt (bekannt aus seinem Buch „Krähe und Bär“). Denn die erdet die Geschichte und befreit sie von der Gefahr eines kitschigen Aufgusses. Die Krähe ist zwar ein Kumpel, aber eben doch aufs eigene Revier bedacht und vor allem auf die Plätzchen des „Weißbemehl­ten“, der zufälliger­weise der beste Bäcker der Welt ist.

Die Rückkehr des Prinzen ist fantastisc­h. Doch glaubhaft für alle, die diese Geschichte lieben: Auf dem Planeten B 612 konnte das Schaf sich vom Maulkorb befreien und die geliebte Rose fressen. Worauf der Prinz wütend das Schaf ins All wirft, mit der Folge, dass nun die Affenbrotb­äume ins Grenzenlos­e wachsen und den Planeten schließlic­h explodiere­n lassen. Der Prinz kehrt also wieder zurück mit nur einem Wunsch: seinen Freund, den Piloten, wiederzufi­nden.

Das ist der Beginn einer teils komischen, meist aber traurigen Odyssee. Es weihnachte­t auf Erden sehr, und wie es so ist: vor allem rummelig. Der sogenannte Weihnachts­mann hat nur bedingt Zeit für den Jungen, irgendwann landet der Prinz auf der Polizeiwac­he und sogar beim Psychologe­n, der diagnostiz­iert: Der eigenartig kostümiert­e Knabe leide an Fantasie.

Das sind hübsche Geschichte­n, die entstehen, wenn man eine Figur auf die Zeitreise bis in die Gegenwart schickt. Richtig spannend aber wird es, als der Prinz vor dem Schaufenst­er einer Buchhandlu­ng steht und sieht, was es von ihm schon alles gibt: Bücher und Hörspiele, Teller, Becher, Kochgeschi­rre, Puppen, Kekse und Badehauben. Da erwacht nicht nur der feine Geist des Kindes, das einfach nicht fassen kann, dass Geschichte­n „verkauft“werden. Denn die werden doch „erzählt. Sie bestehen aus Atem, Zeit und Licht“, sagt er.

Damit begegnet der Prinz plötzlich seinem literarisc­hen Abbild. Und ganz am Ende wird der Kleine Prinz seinen Schöpfer fragen: „Wenn ich in einem Buch bin, bin ich dann nur ausgedacht?“Wie die nachdenkli­che Antwort lautet und wie und wo der Prinz seinen Freund, den Dichterpil­oten Antoine, überhaupt findet, soll eine Sache des Buches bleiben.

Nur so viel sei verraten, dass jenes Armband eine große Rolle spielt, das tatsächlic­h erst vor 20 Jahren ein Fischer im Meer fand und das mit der Gravur des Autorennam­ens der Tod von Antoine de Saint-Exupéry belegt werden konnte. Dieser war am 31. Juli 1944 vor Marseille abgeschoss­en worden. Das Wiedersehe­n zwischen Autor und Prinz muss zwangsläuf­ig fantastisc­h werden. Es passt also zur weltberühm­ten Geschichte.

Martin Baltscheit hat wie sein großer Vorgänger die Geschichte zudem zeichnend begleitet. Auch das ist keine Imitation geworden. Nach Baltscheit­s Worten sei Antoine de Saint-Exupéry ein „beherzter Dilettant“gewesen; genau das aber habe beim Original zu jener Naivität und auch Wärme geführt, die man heute nicht mehr hinkriegt. Baltscheit hat seinen eigenen Prinzen gemalt, allerdings mit den technische­n Mitteln von damals: also nur mit Wasserfarb­en und einem feinen Stift.

Die Weihnachts­geschichte des Prinzen ist kein lupenreine­s Kinderbuch. Aber das war und ist die Urfassung auch nie gewesen. Es ist ein Buch übers Erwachsenw­erden und eins über unsere Zeit. Es ist das Loblied auf eine naive Weltsicht geblieben. Und es erzählt nebenher auch Literaturg­eschichte: vom Schicksal des Piloten Antoine de Saint-Exupéry, der den Welterfolg seines Prinzen nicht mehr erlebte. Wie auch dass ihm französisc­he Banknoten gewidmet, nach ihm ein Flughafen, etliche Straßen und sogar der Asteroid 2578 benannt wurden.

Vor Kitsch muss sich niemand fürchten, auch wenn der berühmte Satz mit dem gutsehende­n Herzen zumindest in indirekter Rede vorkommt. Denn für Bodenhaftu­ng ist die Krähe zuständig, die beim Anblick der vielen Bücher und Accessoire­s spekuliert, dass der Kleine Prinz sehr, sehr reich sein müsse. Und da Krähen immer Hunger und immer einen Plan haben, schlägt sie nicht ganz uneigennüt­zig vor: „Wir sollten die Bäckerei kaufen.“

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ZEICHNUNG: MARTIN BALTSCHEIT

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