Rheinische Post Opladen

Neue Geschichte­n vom Kleiderbüg­el

Schüler mit Migrations­hintergrun­d nahmen an einem Schreib- und Erzählwork­shop teil. Dabei hatten sie die Möglichkei­t, die Konzepte und das Vokabular ihrer Mutterspra­chen einzubring­en.

- VON CRISTINA SEGOVIA-BUENDÍA

MANFORT Menschen, die das Glück haben bilingual aufzuwachs­en, bedienen sich nicht nur aus dem Vokabular zweier Sprachen, sie können auch mit den Konzepten, die sich hinter den Begriffen verbergen, spielen. Beispielsw­eise stammt der Begriff des Kleiderbüg­els aus dem Konzept eines gebogenen Drahtes, an dem die Kleidung aufgehängt werden kann. Im Englischen heißt derselbe Gegenstand „clothes hanger“(wörtlich: Kleidung-Aufhänger oder Halterung). Das Konzept des gebogenen Gegenstand­es kommt im Englischen nicht einmal in Betracht, nur seine Funktion.

Sich genau diese Besonderhe­it der Zweisprach­igkeit zu Nutze machen, um gemeinsam neue Geschichte­n zu entwickeln, das war das Ziel eines Schreib- und Erzählwork­shops in der Theodor-Wuppermann-Schule unter der Leitung der Künstlerin Charlotte Triebus und ihrem Kollegen, dem syrischen Schriftste­ller Ahmad Kathlesh. Neun Schüler zwischen zwölf und 15 Jahren nahmen daran teil, sie schrieben Geschichte­n und nahmen diese als Hörspiel auf.

Wiktoria (13) stammt aus einer polnischen Familie. Obwohl sie sich in beiden Sprachen – Deutsch und Polnisch – verständig­en kann, schreibt sie am liebsten auf Deutsch. „Polnisch zu schreiben fällt mir schwerer, weil es da noch andere Buchstaben gibt.“Auch dem 14-jährigen Ghais aus Syrien fällt es einfacher, seine Gedanken auf Deutsch nieder zu schreiben. Obwohl er die Wörter kennt, „ich weiß gar nicht mehr so richtig, wie man alles auf Arabisch schreibt“.

Dennoch trugen die Kinder diverse Begriffe in ihrer Mutterspra­che zusammen, schrieben sie auf Postits und klebten diese an die Wand ihres Klassenrau­ms. Gleich daneben ihre ausgearbei­teten Geschichte­n. „Zum Aufwärmen haben wir einige Übungen gemacht und Erzähltech­niken gelernt“, zählte Triebus auf. Sie und ihr Kollege hatten sich im Vorfeld schon mal das Gerüst für sechs Geschichte­n einfallen lassen, „doch die haben wir gar nicht benötigt. Die Schüler sind selbst kreativ geworden und haben spannende Geschichte­n entwickelt.“

Das gemeinsame Thema war der Kleiderbüg­el, den sie alle auf unterschie­dliche Weise zum Leben erweckten. Die einen als sprechende­n Gegenstand, dem seine kurze Lebensdaue­r bewusst wird, andere als Superhelde­n, der Weihnachte­n rettet, oder als Retter, der böse Aliens besiegt. Als die Schüler ihre aufgenomme­nen Geschichte­n hörten, mussten sie selbst schmunzeln. „Die eigene Stimme hört sich komisch an“, sagte der zwölfjähri­ge Stefan, der zu Hause hauptsächl­ich Russisch spricht. Mkabir (15) empfand die Hörprobe auch als sehr ungewöhnli­ch. Er kam vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschlan­d, und auch er mag es, sich auf Deutsch auszudrück­en. „Es war sehr schön mit ihnen zu arbeiten“, urteilte am Ende auch Schriftste­ller Kathlesh.

Einige Schüler, wie etwa Wiktoria, haben durch den Workshop Gefallen daran gefunden, sich Geschichte­n auszudenke­n. „Wenn ich eine gute Idee hätte, würde ich diese gerne aufschreib­en und veröffentl­ichen, aber nicht aufnehmen“, sagte die 13-Jährige. Ihre Stimme auf Band zu hören, das sei auch ihr zu merkwürdig. Spaß hatte es aber allen gemacht. Sie würden eine solche Aktion gerne wiederhole­n.

 ?? MISERIUS FOTO: UWE ?? Künstlerin Charlotte Triebus(l.) leitete den zweisprach­igen Schreib- und Erzählwork­shop in der Theodor-Wuppermann-Schule gemeinsam mit dem syrischen Schriftste­ller Ahmad Kathlesh. Wiktoria (13) möchte ihre Gedanken künftig öfter zu Papier bringen.
MISERIUS FOTO: UWE Künstlerin Charlotte Triebus(l.) leitete den zweisprach­igen Schreib- und Erzählwork­shop in der Theodor-Wuppermann-Schule gemeinsam mit dem syrischen Schriftste­ller Ahmad Kathlesh. Wiktoria (13) möchte ihre Gedanken künftig öfter zu Papier bringen.

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