Die Küche, ein Gotteshaus
2013 gewinnt Tom Franz in Israel die Kochshow „Masterchef“– mit koscherem Essen. Es ist der Höhepunkt einer Wandlung. Aufgewachsen ist Franz in Erftstadt.
Die Geschichte von Tom Franz ist die einer Verwandlung. Sie beginnt in Lechenich, einem Stadtteil von Erftstadt bei Köln. 12.000 Einwohner, drei Kirchen, ein Fußballverein. Dort wächst Thomas Franz, geboren 1973 in Köln, auf. Er hat einen jüngeren Bruder, die Familie ist katholisch. Als kleiner Junge sammelt er Kronkorken und Getränkedosen. Mit neun geht er zur Kommunion, mit 15 trinkt er das erste Mal Alkohol. Eine typische Kleinstadtjugend – bis in den Herbstferien 1989 eine israelische Schülergruppe seine Schule besucht. „Das hat mich getroffen wie ein Paukenschlag“, sagt Franz fast 30 Jahre später, „die haben mitten in der Schulcafeteria gesungen und getanzt. Das war ein ganz anderes Selbstbewusstsein, eine andere Lebensfreude. Das hat mich sofort angezogen.“
Es ist eine Anziehungskraft, die ihn nicht mehr loslässt. Heute lebt der 45-Jährige mit seiner Frau Dana und vier Kindern bei Tel Aviv, Israels moderner Tech- und Party-Metropole. Und er ist in seiner neuen Heimat ein Star: 2013 gewann der studierte Rechtsanwalt die israelische Ausgabe der Kochsendung „Masterchef“. Als erster Ausländer überhaupt – und als erster mit koscherem Essen.
Franz ist zum Judentum konvertiert. Seit einigen Jahren nennt er sich Tom. Aus Thomas Franz, im katholischen Rheinland aufgewachsen, wurde Tom Franz, modern-orthodoxer Jude. Er trägt Kippa und feiert mit seiner Familie Schabbat, den jüdischen Ruhetag. Von Freitagabend, wenn die Sonne untergeht, bis Samstagabend, wenn drei Sterne zu sehen sind, wird im Hause Franz nicht gearbeitet. Elektronische Geräte zu benutzen ist tabu, das gilt für Smartphones ebenso wie für Lichtschalter und Autos. „Der schönste Tag der Woche“, sagt Franz, „da darf man endlich mal genießen.“
Überhaupt hat die Geschichte von Tom Franz auch viel mit Genuss zu tun. 1990 war er das erste Mal in Israel zu Besuch. „Es war ein bisschen wie nach Hause kommen“, sagt er heute. Und: „Es fühlte sich gut an, das Essen war toll, der Hummus, die Pita, die Gewürze.“Schon vor der Konversion entscheidet er sich zu einer jüdischen Lebensweise – auch in der Küche. Kein Schweinefleisch, keine Meeresfrüchte, keine fleischigen Speisen mit milchiger Sauce. Das Judentum, wie Franz es lebt, hat viele Vorschriften, auch beim Essen. Eingeschränkt fühlt er sich nicht. Koscheres Kochen ist für ihn eine spirituelle Handlung, die Küche ein Gotteshaus.
Man muss das nicht so sehen, aber wenn man ihm beim Kochen zusieht, glaubt man ihm. Jeder Handgriff sitzt. Der 45-Jährige, 1,95 Meter groß, schlank, kurze Haare, bewegt sich intuitiv durch die Küche, probiert, würzt, schmeckt ab. Ein Kursus bereitet an diesem Abend in Tel Aviv verschiedene koschere Gerichte zu. Lamm-Kebab, scharfer Salat von Gurke und Tomate, Falafel, Schokoküchlein. Mit beiden Händen greift er ins Lammhack, gibt etwas mehr Kreuzkümmel dazu, probiert kurz und sagt dann: „Jetzt ist es gut.“Gebraten wird der Kebab auf einer Zimtstange, das hat mehr Pfiff.
Doch er kocht nicht nur an diesem Abend, er erzählt auch aus seinem Leben. Fast märchenhaft klingt das zum Teil. Was manche Zufall nennen, ist für Franz göttliche Fügung. Zum Beispiel, wie er seine Frau Dana kennengelernt hat. Er sei einsam gewesen, auf der Suche nach der großen Liebe. „Und dann hat Gott mir meine Frau geschickt.“Und während man noch über diesen Satz nachdenkt, ist er schon bei der Hochzeit 2009 angekommen. Nach jüdischem Ritus wurde gefeiert, mit der ganzen Familie aus Deutschland zu Besuch. Sein Bruder lebt in Köln, die Eltern in Lechenich.
Die Entscheidung des Sohnes, 2004 nach Israel auszuwandern, sei schwer für die Eltern gewesen, „ein Bruch mit Tradition und Kultur“, wie Tom Franz es ausdrückt. Die Konversion zum Judentum sei ihnen fremd gewesen, das Gesamtpaket schwierig. In Israel schlägt er sich anfangs mit Praktika und Gelegenheitsjobs durch. In Köln hatte er zuvor in einer großen Wirtschaftskanzlei gearbeitet, eine Lehre zum Bankkaufmann und das Jurastudium ehrgeizig durchgezogen. Und, wie er in seinem im März erschienenen Buch „Sehnsucht Israel“schreibt, nicht gerade fromm gelebt. Sein Leben ist auch die Geschichte einer Sinnsuche. Er trinkt, immer wieder exzessiv, raucht, ab und an auch mal einen Joint. Feiert, lernt viele Frauen kennen. Und vergisst sie schnell wieder. Die einzige Konstante: das Kochen. Auch damals schon steht er gerne in der Küche.
Woher also der Wunsch nach einem frommen Leben? Für Tom Franz hat auch das, wie sollte es anders sein, mit Israel zu tun. Die Sehnsucht danach sei nie weg gewesen, erzählt er. Immer wieder kehrt er zurück, zum Zivildienst bei der Aktion Sühnezeichen, den er unter anderem in einem Altenheim für Holocaust-Überlebende ableistet, zu Urlauben. Er beschäftigt sich mit der Geschichte beider Länder, zunehmend auch mit dem Judentum.
Kurz nach seinem 30. Geburtstag steht fest: Er wandert aus. Und konvertiert. Wenn er davon erzählt, hört es sich einfach an. Sein Lebensweg sei klar gewesen: Karriere, Heirat, Kinder. „Und das wäre okay gewesen, ich war ja nicht unglücklich.“Und doch entscheidet er sich dagegen, etwas fehlt. „Wenn man mit 50 das Gefühl hat, man hat sein Leben falsch gelebt, kann man es nicht mehr ändern – mit 30 schon.“Er zieht nach Tel Aviv, lernt Hebräisch und bereitet sich auf die Konversion vor. Statt ins Nachtleben stürzt er sich in die jüdische Glaubenslehre. Für seine damalige Freundin lässt er sich beschneiden, lernt orthodoxe Regeln, jüdische Feiertage und wie man koscher kocht. Zwei Jahre dauert das, bei der ersten Prüfung vor dem Rabbinat fällt er durch. Beim zweiten Mal klappt es. Dass er danach „am Rande zur Orthodoxie“leben würde, sei von Anfang an klar gewesen. „Wenn schon, dann richtig“, sagt er. Vielleicht auch eine Form von Exzess. Wenn er es schafft, geht er drei Mal am Tag in die Synagoge. Er trägt nicht nur Kippa, sondern auch den jüdischen Gebetsschal Zitziot. Seine Frau kleidet sich seit der Hochzeit in religiöse Tracht, Kopftuch, knielange Röcke, schwarze Schuhe.
Von seinem alten Leben ist nicht viel übrig. Im Alltag spricht Familie Franz Hebräisch, die Kinder werden modern-orthodox erzogen. Auch mit Jura hat er seit dem Gewinn von „Masterchef“nichts mehr zu tun. Umgerechnet 40.000 Euro Preisgeld gab es dafür – und neue Perspektiven. „Ich bin alleine nach Israel gegangen und war auf einmal bekannt“, sagt Franz. Ganz allein war er freilich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Zu seinem ersten Auftritt begleiten ihn Dana und Sohn David, elf Monate alt. Auf einer Aufzeichnung sieht man Franz vor der Jury stehen, mit langen Haaren und ziemlich nervös. Dana und David stehen hinter den Kulissen. Sie hatte ihn überzeugt, sich für die Sendung anzumelden. Unter 6000 Bewerbern
Wenn möglich geht er drei Mal am Tag in die Synagoge, trägt Kippa und den jüdischen Gebetsschal Zitziot
setzt er sich durch. „Er ist auf eine Weise genau wie es nur ein Deutscher sein kann“, urteilt einer der Juroren, Dana Franz sagt: „Plötzlich ist Deutsch etwas Gutes, und das ist bei der Geschichte unserer beiden Völker wirklich etwas Besonderes.“
Seitdem ist die Küche auch professionell sein Lebensmittelpunkt. Er hat mehrere deutschsprachige Kochbücher verfasst, gibt Kurse, kocht auf Events und bringt bald eine eigene Serie mit koscheren Produkten in deutsche Supermärkte: Hummus, Tahini, Dattelhonig. Gemanagt wird alles von seiner Frau. Vor Kurzem ist die Familie aus Tel Aviv in eine kleinere Stadt in der Nähe gezogen, der Kinder wegen. Tom Franz ist angekommen.
Die Geschichte aber geht weiter. Denn er hat eine Mission: Er will das Bild koscheren Essens in Israel verändern. Es gilt als langweilig und unkreativ, „schnöde Hausmannskost“, wie eine Jurorin von „Masterchef“es gesagt hat. „Dabei macht koscher Kochen Freude, ist fein und aufregend“, sagt er. Letzteres besonders dann, wenn er deutsche und israelische Gerichte mischt. Dann gibt es Reibekuchen mit eingekochter roter Bete oder einen rheinischen Sauerbraten mit getrockneten Feigen und Pilaw. Ein bisschen Rheinland in Tel Aviv. Ansonsten, sagt er, vermisst er nicht besonders viel. Die Jahreszeiten, wenn es im Sommer in Israel zu heiß ist, den Schnee, den Sommerregen. Und die Familie. Die Eltern könnten wegen ihres Alters nicht mehr oft zu Besuch kommen, Reisen nach Deutschland mit vier Kindern seien anstrengend. Eine Rückkehr kann sich Tom Franz nicht vorstellen. Aus dem Sehnsuchtsort ist längst Heimat geworden.