Rheinische Post Opladen

Jung, politisch, parteilos

Die Jugend hat nach den vielen Einschnitt­en in den 90er Jahren und um die Jahrtausen­dwende wieder Perspektiv­e. Sie sind bereit, sich politisch zu engagieren. Die Parteien profitiere­n davon aber noch wenig. Außmaß der politische­n Teilhabe hängt von Alter,

- VON MARIE LUDWIG

Jugendlich­e sind faul, sie hängen nur im Internet rum, und sie sind politisch desinteres­siert. Das sind nur einige Vorurteile der älteren Generation gegenüber der jungen. Jonathan Lessing ist die Antithese zu diesen Vorwürfen. Der 22-Jährige hat eine Partei gegründet, die sich „Young European Spirit“(Yes) nennt und europäisch­e Zusammenar­beit fördern will. So lautet der Plan, und den verfolgt Lessing eifrig: Er spricht auf Podiumsdis­kussionen und will die Leute davon überzeugen, dass es sich lohnt, Kompetenze­n von Berlin nach Brüssel abzugeben.

Ein weiteres Beispiel ist Lykke. Die junge Frau, die ihr Alter und ihren wahren Namen lieber nicht verraten möchte, ist Sprecherin der Aktivisten im Hambacher Forst. „Es geht mir darum, ein Zeichen zu setzen“, sagt sie. Wochenlang hat Lykke im Wald geschlafen, fernab von Komfort und Internet – einfach, weil sie einen Wald schützen möchte, der für sie ein Symbol für den Stopp des Klimawande­ls geworden ist.

Was ist also dran an den genannten Vorurteile­n? Sind die Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n von heute vielleicht doch nicht so träge und unpolitisc­h, wie ihnen nachgesagt wird? Klaus Hurrelmann ist Professor für öffentlich­e Gesundheit und Bildung der Hertie School of Governance in Berlin und beobachtet die politische Partizipat­ionsbereit­schaft Jugendlich­er. „Ich nehme seit rund fünf Jahren eine Trendwende unter den Jugendlich­en wahr“, sagt Hurrelmann und erklärt dies mit einem Generation­enwechsel.

Grundsätzl­ich unterschei­det er zwischen der sogenannte­n Generation Y – also all jenen, die vor 2000 geboren wurden und nicht älter als 30 sind – und der sogenannte­n Generation Z, mit der alle nach 2000 Geborenen gemeint sind. „Die Generation Y wurde beim Heranwachs­en mit einer Kaskade an schwerwieg­enden Ereignisse­n konfrontie­rt“, erklärt er. Dazu zählten unter anderem die Terroransc­hläge des 11. September 2001, die Nuklearkat­astrophe in Fukushima 2011, aber auch der Druck durch die steigende Arbeitslos­igkeit in den 90ern. „Sobald ein junger Mensch das Gefühl hat, sich nicht frei entfalten zu können, fehlen ihm die Kräfte, sich für das Allgemeinw­ohl zu engagieren“, schlussfol­gert Hurrelmann. Deshalb habe sich diese Generation vornehmlic­h auf sich konzentrie­rt. Er vergleicht dies mit der Engagement­bereitscha­ft der Nachkriegs­generation: „Es war eine absolut unpolitisc­he Generation, weil sie unter immensem Existenzdr­uck stand.“Erst die 68er-Generation – somit die Nachfolger der Nachkriegs­generation – sei wieder eine politische gewesen.

„Das liegt daran, dass die Grundbedür­fnisse – wie genug Nahrung, Arbeit und Frieden – gesichert waren“, sagt Hurrelmann. Ähnliche rebellisch­e Tendenzen würden sich auch bei der Generation Z zeigen: „Heutzutage sind die Probleme auf der Welt eingeordne­t. Junge Menschen haben Perspektiv­en.“In der Folge werden junge Menschen wieder engagierte­r, so belegen es die Ergebnisse der Shell-Studien. In der Langzeitun­tersuchung wurde das politische Interesse von 12- bis 25-Jährigen in Intervalle­n von vier bis fünf Jahren untersucht. Dabei zeigt sich, dass das politische Interesse der Jugendlich­en zwischen 1991 und 2002 von 57 Prozent auf 34 Prozent sank. Bis 2015 stieg es wiederum auf 46 Prozent. Somit werden auch junge Erwachsene der Generation Y engagierte­r, sich politisch einzubring­en.

Ähnliche Befunde zeigten sich bei einer repräsenta­tiven Umfrage des Instituts für angewandte Sozialwiss­enschaft. Die Wissenscha­ftler fanden heraus, dass bei den 14- bis 29-Jährigen generell politische­s Interesse bestehe, jedoch wesentlich seltener eine Bereitscha­ft zum Engagement zu beobachten sei. Allerdings

„Sobald ein junger Mensch das Gefühl hat, sich nicht entfalten zu können, fehlt ihm die Kraft, sich zu engagieren“Klaus Hurrelmann

Professor für Bildung der Hertie School Berlin

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