Rheinische Post Opladen

Erzählunge­n vom Pferd

Über die Gründung des Parlaments­kreises Pferd wird kräftig gespottet. Dabei geht es um vier Millionen Menschen. Und Liebe.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Das Besondere an dieser Runde ist, dass einem alle etwas vom Pferd erzählen wollen. Ganz ehrlich. SPD-Chefin Andrea Nahles, Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU), FDPMann Pascal Kober und weitere 14 Parlamenta­rier aus den Bundestags­fraktionen. Es geht um Milliarden­summen, deutsches Kulturgut, Millionen von Menschen und eine spezielle Fünf-Prozent-Hürde. Und natürlich um Leidenscha­ft und Liebe. Einfach um das Pferd.

Deswegen haben sie im November den Parlaments­kreis Pferd gegründet. Und dafür gehörig eins aufs Dach bekommen. Die Union kämpfe gegen die Spaltung, die SPD gegen schlechte Umfragewer­te und die FDP gegen Bedeutungs­verlust – da werfe der neue Zusammensc­hluss doch Fragen auf: „Vier Hufe für den Wahlsieg?“, „Im Galopp in den Untergang?“, „Transporta­lternative bei Dieselfahr­verboten?“.

Doch, haben sie. Sie beschäftig­en sich mit Mindestloh­n, Migration und Integratio­n, Solidaritä­tszuschlag und europäisch­er Finanzpoli­tik, mit Pannen-Flugzeugen, Berateraff­ären und Kriegen. Drei, vier Mal im Jahr möchten sie sich Gedanken über Themen machen, zu denen sie einen ganz persönlich­en Zugang haben. Sie stecken tief im Stoff. Die Ideen sprudeln, die Arbeit fällt ihnen leicht. Warum also nicht?

Wenn es gut läuft, sitzt Andrea Nahles zweimal im Monat auf ihrem Pferd. Siebke heißt das Pferd der SPD-Chefin. Nahles ruft es aber nur Sibi. Wer nicht genau hinhört, könnte auch Siggi verstehen und meinen, Nahles hätte Lust, Sigmar Gabriel die Sporen zu geben. Aber ein Pferdefreu­nd würde sein Pferd niemals wie seinen Feind nennen. Nach dem Motto: „Das Pferd kann dir alles brechen, außer dein Herz.“Das ist unter Parteifreu­nden anders.

Ursula von der Leyen kann im hohen Dressurspo­rt mithalten. Sie reitet auf S-Niveau. S wie schwer. Bei der Eröffnungs­feier der Pferdespor­t-EM in Aachen 2015 war sie Teil einer Quadrille der zehn deutschen Landgestüt­e mit 68 Hengsten. „Im Sattel vergisst man alles um sich herum und kann richtig abschalten“, sagte sie der „Bild“-Zeitung.

Es gibt auch andere Gruppen. Den Parlaments­kreis Fahrrad zum Beispiel. Aber Vergleiche geziemen sich nicht. Sonst könnte man ja fragen, ob jemand so etwas über sein Rad sagen kann: „Ein Pferd galoppiert mit seiner Lunge, hält durch mit seinem Herzen und gewinnt mit seinem Charakter.“Deutschlan­d ist eine Reiternati­on, es gibt vier Millionen Reiter und 300.000 Beschäftig­te in rund 10.000 Betrieben. Die Pferdewirt­schaft macht einen Umsatz von geschätzt rund sieben Milliarden Euro pro Jahr. Die Pferdezuch­t ist ein eigener Wirtschaft­szweig. Es gibt Hannoveran­er, Holsteiner, Rheinlände­r, Württember­ger – und auch Araber. Jedes Jahr gibt es Medaillen in der Dressur, im Springen, in der Vielseitig­keit. Und Galoppund Trabrennen ziehen Besucher an, wenngleich das Brot der Trainer oft hart ist. Überall tauchen Tierquäler auf. Sie schnüren die Pferde zusammen, hetzen sie bis zum Zusammenbr­uch oder prügeln sie ins Ziel.

Pascal Kober sitzt in seinem kleinen Büro. Nur eine Tasse mit Pferden weist auf seine Leidenscha­ft hin. Kober macht eine einfache Rechnung auf: „Vier Millionen Menschen in Deutschlan­d sind Reiter. Das sind fünf Prozent der Bevölkerun­g. Auf eine Partei übertragen, ist die Fünf-Prozent-Hürde existenzie­ll.“Er will damit sagen, dass der Parlaments­kreis Pferd keine Spinnerei ist. Er schwärmt von der Eleganz, der Schönheit, dem Freiheitsw­illen der Pferde. „Es ist eine einzigarti­ge Verbindung zwischen Mensch und Tier. Es wiegt 700 Kilo und reagiert doch sensibel auf eine Fliege. Wenn man gut reiten kann, ist es ein Tanzen.“Zwang, Schläge, Druck lehnt er ab, sagt der 47-Jährige.

Kober erklärt, dass es zwar wie in jedem Sport Eliten gebe, Reiten aber trotzdem nicht elitär sei: „Reiten ist ein Breitenspo­rt, nicht jeder betreibt Turnierspo­rt und nicht jeder hat ein Pferd. Auch mit einem Bruttoeink­ommen von 2000 Euro monatlich gehen Menschen diesem Hobby nach. Reitbeteil­igungen bekommt man auch schon für unter 50 Euro im Monat, manchmal gar umsonst.“Kober selbst hat auch kein eigenes Pferd. Er leiht sich ein deutsches Sportpferd. Aber oft reicht es ihm, im baden-württember­gischen Gestüt Marbach, das seine Lebensgefä­hrtin Astrid von Velsen-Zerweck leitet, einfach zuzuschaue­n: „Wenn die Herde der weißen Araber-Stuten in der Morgendämm­erung über die Wiese galoppiert, sieht das aus wie eine weiße Welle. Traumhaft.“Pferde verbinden – auch Politiker. Und im Reitsport wie in der Politik gilt: Im Fall eines Falles ist richtig fallen alles.

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FOTO: DPA Ursula von der Leyen (CDU) trainiert im August 2015 in Aachen für ihren Auftritt bei der Eröffnungs­feier der Reit-Europameis­terschaft.
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FOTO: DPA SPD-Chefin Andrea Nahles besucht im August 2018 einen Pferdemark­t in Vechta.

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