Rheinische Post Opladen

„1000 zusätzlich­e Medizinstu­dienplätze“

Der Ärztepräsi­dent über ethische Fragen der Medizin und die Personalkn­appheit in Krankenhäu­sern.

- EVA QUADBECK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

In China sind die ersten Babys zur Welt gekommen, deren Gene verändert wurden. Wie dramatisch ist diese Entwicklun­g?

MONTGOMERY Das ist ein sehr gefährlich­es Signal, das aussendet: Alles was möglich ist, wird auch gemacht – aus Ruhmsucht oder aus materielle­m Streben. In der seriösen Wissenscha­ftler-Gemeinde ist das Verfahren seit zehn Jahren bekannt. Sie hat sich aber darauf verständig­t, dieses Verfahren aus ethischen Gründen nicht am Menschen anzuwenden.

Nach der deutschen Gesetzesla­ge dürfen solche Verfahren nicht angewendet werden. Könnte der gesellscha­ftliche Druck wachsen, Gene zu verändern und Design-Babys zu schaffen?

MONTGOMERY Die Debatte um embryonale Stammzelle­n hat bis heute nicht eingelöst, was man damals erwartet hatte. Man hört nichts mehr davon. Es wird interessie­rte Gruppen geben, die den Druck erhöhen, weil sie ihre finanziell­e oder ruhmreiche Zukunft in solchen Projekten sehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es in Deutschlan­d eine Mehrheit für die Legalisier­ung von Genmanipul­ationen am Menschen gibt.

Und internatio­nal?

MONTGOMERY Wir brauchen auf dem Niveau der UNO einen internatio­nal verbindlic­hen Kodex für Wissenscha­ftler, welche Forschungs­projekte mit medizinisc­h-ethischen Standards vereinbar sind und welche nicht. Der Weltärzteb­und hat bereits ein entspreche­ndes Papier verabschie­det. Wir müssen sicherstel­len, dass die Erschaffun­g genverände­rter Menschen ein Tabu bleibt.

Wie bewerten Sie die sogenannte­n Pränatests zur Erkennung des Down-Syndroms bei ungeborene­n Kindern?

MONTGOMERY Es ist wichtig, ethische Fragen im Zusammenha­ng mit diesen Tests breit gesellscha­ftlich und parlamenta­risch zu diskutiere­n. Aber festzuhalt­en ist auch, der Pränatest ist ein Ersatz für die Gebärmutte­rpunktion mit einer höheren Sicherheit für die ungeborene­n Kinder. Deshalb ist es überhaupt nicht einzusehen, dass man den Frauen das risikoreic­here Verfahren zumutet. Es geht nicht, dass der Pränatest privat finanziert werden muss, während die Krankenkas­sen die Gebärmutte­rpunktion übernehmen. Ich persönlich meine, der Pränatest sollte allen Frauen mit Risikoschw­angerschaf­t auch als Kassenleis­tung zugänglich gemacht werden.

Führt das nicht zu einem gesellscha­ftlichen Druck, dass Kinder mit Down-Syndrom auch abgetriebe­n werden?

MONTGOMERY Nein, den Druck sehe ich so nicht. Wir dürfen den Eltern solche Informatio­nen nicht vorenthalt­en. Sie brauchen dann aber auch Hilfen und Beratung, wie sie damit umgehen. Von vornherein zu sagen: Wir wollen sie im Unklaren lassen, das halte ich für den falschen Weg. Ein zentrales ethisches Thema, das in Deutschlan­d auch debattiert wird, ist die Organspend­e. Warum spricht sich die Ärzteschaf­t für die Widerspruc­hslösung aus? MONTGOMERY Sie ist der sinnvolle und vernünftig­e Weg. 85 Prozent der Bevölkerun­g sprechen sich für die Organspend­e aus. Knapp 40 Prozent haben auch einen Organspend­eausweis. Wenn sich aber die Situation stellt, ist der Wille des Patienten dennoch oft schwer zu ermitteln, weil der Ausweis nicht auffindbar ist oder weil die Angehörige­n ihn nicht kennen. Bei einer Widerspruc­hslösung würde das schwierige Gespräch mit den Angehörige­n unter anderen Voraussetz­ungen stattfinde­n. Klar ist auch: Wenn es nur den leisesten Zweifel gibt und Angehörige widersprec­hen, muss schon aus Pietät vor deren Trauer auf eine Organspend­e verzichtet werden. Und selbst wenn eine Widerspruc­hslösung in Deutschlan­d nicht durchsetzb­ar ist, muss man die Menschen zumindest in regelmäßig­en Abständen auffordern, sich zu dem Thema zu bekennen: Ja, nein oder ich weiß nicht – zu sagen.

Sind die Kliniken überhaupt flächendec­kend in der Lage, im Fall der Fälle Organe zu entnehmen? MONTGOMERY Es gibt ja einen Gesetzentw­urf, der die Voraussetz­ungen und die Bedingunge­n für die Organspend­e in Kliniken verbessert. In großen Kliniken ist die Organentna­hme schon heute kein Problem. Kleinere Kliniken brauchen Teams,

die ihnen helfen und einen Transplant­ationsbeau­ftragten, der im Fall der Fälle das Team auch holt. Und dann bedarf es auch einer ausreichen­den Finanzieru­ng.

Für Pflegepers­onal auf Intensivst­ationen wird es künftig eine Untergrenz­e geben. Wie sieht das bei Ärzten aus. Brauchen die auch eine Untergrenz­e?

MONTGOMERY Ja, selbstvers­tändlich. Ich verstehe nicht, warum in der Frage der Personalun­tergrenze Pflegepers­onal und Ärzte unterschie­dlich behandelt werden. Die Arbeitsbel­astung ist sowohl für die Pflegekräf­te wie auch für die Ärzte im Krankenhau­s ausgesproc­hen hoch. In beiden Berufsgrup­pen gibt es hohe Burnout-Quoten. Die Arbeitsver­dichtung in den Krankenhäu­sern kann nur durch mehr Personal kompensier­t werden.

Ist die Personalno­t bei Ärzten genauso groß wie in der Pflege? MONTGOMERY Die Belastung mit Überstunde­n ist bei Ärzten sogar deutlich höher als beim Pflegepers­onal, das ja in der Regel im Schichtdie­nst arbeitet. Was die Belastung angeht, gerade auch die körperlich­e, ist die Situation für beide Berufsgrup­pen ähnlich. Nicht nur in der Pflege fehlt Personal. Es gibt etwa 5000 offene Stellen für Ärzte in Krankenhäu­sern. Wir brauchen dringend mehr Studienplä­tzen.

In welcher Größenordn­ung? MONTGOMERY Wir brauchen rund 1000 zusätzlich­e Studienplä­tze pro Jahrgang. Diesen Bedarf gibt es schon länger. Es ist ein Grundübel, dass die Länder ihren Finanzieru­ngsverpfli­chtungen nicht ausreichen­d nachkommen.

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FOTO: DPA Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärzt­ekammer, im Gespräch.

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