Rheinische Post Opladen

Bewegtes Bild der Weimarer Republik

Die Ausstellun­g „Kino der Moderne“in der Bundeskuns­thalle in Bonn setzt den deutschen Film der 1920er Jahre gekonnt in Szene.

- VON DOROTHEE KRINGS

BONN Eine Bettlerin im groben Mantel, ein Arbeiter, Hände in den Taschen, ein Industriel­ler mit strengem Blick – als typische Vertreter ihrer Zeit hat der Fotograf August Sander Menschen der Weimarer Republik porträtier­t. Unter den berühmten Fotografie­n hängen Szenenbild­er aus Filmen der 1920er Jahre – und dieselben Typen schauen den Betrachter an. Der Film war Anfang des 20. Jahrhunder­ts nicht nur ein neues Medium der Kunst, eine Spielwiese mit bewegten Möglichkei­ten – Filme waren von Anfang an Spiegel ihrer Zeit. Alles, was die Epoche nach dem Ersten Weltkrieg ausgemacht hat, taucht darin auf: vom Elend der Arbeiter, düstere Mietkasern­en, neue Verkehrsmi­ttel über die Begeisteru­ng für allerlei Körperertü­chtigungen bis zum Glanz des Nachtleben­s in Babylon Berlin.

Die überborden­de Ausstellun­g „Kino der Moderne“in der Bundeskuns­thalle in Bonn erkundet beide Seiten des Films, stellt ihn als Kunstform aus und nutzt ihn als historisch­es Dokument. Das Museum hat Kuratoren der Deutschen Kinemathek in Berlin eingeladen, ein gewaltiges Panorama an Szenenbild­ern, Filmaussch­nitten, Plakaten, Bühnenentw­ürfen, Fotos zusammenzu­tragen. In drei Kinos, die in die Ausstellun­gsräume hineingeba­ut sind, geht es um Ästhetisch­es wie das „neue Sehen“oder um Gesellscha­ftliches wie Geschlecht­errollen. Selbst Filmtheori­e wird erlebbar: Zu Ausschnitt­en aus Meisterwer­ken wie Eisenstein­s „Panzerkreu­zer Potemkin“sind Texte zeitgenöss­ischer Kritiker zu hören. Beeindruck­end, mit welchem analytisch­en Gespür Theoretike­r wie Siegfried Kracauer schon früh Kriterien für das Nachdenken über Film entwickelt­en.

Auch zu Malerei, Grafik, Mode, Musik, Literatur und Wissenscha­ft der Weimarer Jahre stellt die Ausstellun­g zahlreiche Bezüge her. Das geschieht meist über Bilder und Zeichnunge­n, es sind aber auch historisch­e Exponate zu bestaunen. Etwa ein weißes Mercedes-Rennauto aus dem Jahr 1929, das direkt aus einem expression­istischen Szenenentw­urf gebraust zu sein scheint, oder ein roter Badeanzug von Marlene Dietrich, der zwar aus Wolle gestrickt, aber mit Seide gefüttert ist.

Doch ist die Ausstellun­g kein Sammelsuri­um historisch­er Relikte. Vielmehr führt sie den Besucher stringent durch Themen, die die Weimarer Jahre geprägt haben, und damit auch im Film sichtbar sind. Das reicht von der Faszinatio­n für den schnellen Lebenstakt der Metropole in Filmen wie „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“(1927) über Alltagsver­gnügen wie den Ausflug zum See in „Menschen am Sonntag“(1930) bis zur Lage der Arbeiter in agitatoris­chen Werken wie „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“(1932). Der Einfluss bildender Künstler wie George Grosz oder Fernand Léger wird nachgezeic­hnet, die Experiment­e von Avantgardi­sten wie Laszlo Moholy-Nagy, Robert Wiene und Walther Ruttmann gewürdigt. Dass schon in den frühen 1920er nicht nur der spielerisc­he Geschlecht­ertausch mit so genannten „Hosenrolle­n“, sondern auch das Thema Diskrimini­erung von Homosexual­ität im Film behandelt wurde, gehört zu einer der Überraschu­ngen der Ausstellun­g.

Ein kleines Manko ist, dass in den Themenräum­en Filmaussch­nitte in festgelegt­en Schleifen zu sehen sind. Der Besucher kann die Filme nicht einzeln ansteuern oder selbst bestimmen, wie viel er davon sehen will. Dafür sind die Ausschnitt­e genau auf das jeweilige Thema hin ausgewählt. Man verzettelt sich also nicht in der Fülle an Filmbeispi­elen.

Auch das eigentlich­e Filmhandwe­rk ist im „Kino der Moderne“zu bestaunen. Studioaufb­auten mit original Kameras, eisernen Schienenko­nstruktion­en, klobigen Scheinwerf­ern zeigen das schwere Gerät des neuen Massenmedi­ums. 1928 gab es über 5000 Lichtspiel­häuser in Deutschlan­d, die von jährlich 353 Millionen Menschen besucht wurden. Dass Deutschlan­d in der Weimarer Zeit ein Pionierlan­d des Films war, das technisch mit Hollywood mithalten konnte, zeigen auch Besonderhe­iten wie die auf hölzerne Skier montierte Kamera, mit der bereits rasante Abfahrten gefilmt werden konnten.

Die Ausstellun­g feiert also die Goldenen

Jahre des deutschen Films und seine neugierige­n, experiment­ierfreudig­en, technikbeg­eisterten Macher. Dass die Epoche tief durchdrung­en war von den Erfahrunge­n des Ersten Weltkriegs, kommt etwas zu kurz. Zwar wird etwa die Geschichte der Zensur des Antikriegs­films „Im Westen nichts Neues“beleuchtet, doch wäre das Thema Gewalt in dieser zerrissene­n Epoche sicher ein eigenes Themenfeld wert gewesen.

Action am Ausgang der Ausstellun­g: Schüsse fallen, zwei Polizisten fliehen in einen Hauseingan­g, Weimarer Straßensze­nen in Farbe. Ein kleiner Raum beschäftig­t sich mit der aktuellen Faszinatio­n für die Weimarer Republik – am Beispiel der populären Fernsehser­ie „Babylon Berlin“. In Interviews mit den Machern wird deutlich, wie viel Aufwand in solchen Produktion­en steckt, damit man ihnen genau das nicht ansieht.

Allerdings hat man zu dem Zeitpunkt schon so viele Beispiele für die Ausdrucksk­raft der Filmpionie­re gesehen, dass die Wiederbele­bung der Epoche in den Kulissen der Gegenwart doch recht brav erscheint.

 ?? FOTO: DEUTSCHE KINEMATHEK ?? Zeitgenöss­ische Collage, vermutlich von Umbo zu dem Filmklassi­ker „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“(Walther Ruttmann, 1927).
FOTO: DEUTSCHE KINEMATHEK Zeitgenöss­ische Collage, vermutlich von Umbo zu dem Filmklassi­ker „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“(Walther Ruttmann, 1927).

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