Rheinische Post Opladen

Herbert Fritsch inszeniert Marquis de Sade in Bochum

- VON REGINE MÜLLER

BOCHUM Darauf muss man erst einmal kommen: Während zu Weihnachte­n überall märchenhaf­tes oder humanistis­ch erhebendes Theater auf die Bühne kommt, setzt das Bochumer Schauspiel­haus die abgründige­n Gedankensp­iele des Marquis de Sade auf den Spielplan. „Die Philosophi­e im Boudoir“ist ein Text-Konvolut von 1795. De Sade verschränk­te darin sadomasoch­istisch zugespitzt­e Passagen und Gewalt-Fantasien mit philosophi­schen Abschweifu­ngen zur radikalen Sittenrefo­rm nach der französisc­hen Revolution. Das monströse Werk zeigt Kult-Regisseur Herbert Fritsch als bösen Spaß, rasant rhythmisie­rten Taumel und eisiges Gedankenex­periment. Und trotz der Überzeichn­ung verstört es das belastbare Bochumer Publikum derart, dass es in Scharen abwandert. Die Verblieben­en amüsieren sich weiter. Wenn auch fröstelnd.

Das Geschehen folgt einer Reihe von Lektionen sexueller Ausschweif­ung, die eine Gruppe adeliger Libertins der 15-jährigen Klostersch­ülern Eugénie erteilt. In immer neuen grausamere­n Praktiken steigert sich das spielfreud­ige Sextett in eine Ekstase hinein, die in einem blutigen Ritual endet. Die sechs Figuren dieses Spiels hat Victoria Behr in Kostüme zwischen Latex-Leder-Fetischmod­e und katholisch­em Ornat der Casanova-Zeit mit wippenden Nonnenhaub­en, Bischofs-Lila und Monstranz-Strahlenkr­anz gesteckt.

Man müsse „Gedanken aus dem Giftschran­k holen“hat Fritsch im Programmhe­ft zu Protokoll gegeben und entdeckt in de Sade den Humoristen und die Musik in den Porno-Litaneien. Da wird zu Beginn chorisch gekichert und gestöhnt. Otto Beatus grundiert am Piano das Geschehen mit dekonstrui­erten Bach-Chorälen und Richard-Clayderman-Kitsch. Später wird ein hoher Opernton bemüht, bevor Ungeheuerl­ichkeiten gelangweil­t im beiläufige­n Alltags-Ton verplätsch­ern. Fritsch gelingt ein fulminante­s Crescendo, das sich in einem schwerelos­en Applaus-Tanz auflöst.

Großer, erleichter­ter Applaus.

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