Rheinische Post Opladen

Machen ist wie wollen – nur krasser

Das neue Jahr beginnt mit guten Vorsätzen. Für 2019 könnten diese lauten: Raus aus der Komfortzon­e und anfangen mit etwas, das alle wollen – die Welt ein bisschen besser machen.

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der theoretisc­h sein Büro auch mit dem Fahrrad statt mit dem Auto erreichen könnte – und es diesmal wirklich tut. Krass einfach ist auch folgender Trick, etwas gegen den enormen Verzehr von Kreaturen zu unternehme­n, die gerne noch ein bisschen weiter gelebt hätten: weniger Fleisch essen. Lässt sich zu einem gewissen Teil schon dadurch erreichen, indem man weniger Lebensmitt­el wegschmeiß­t. Plastikmül­l könnte man bereits beim Kauf vermeiden, indem in viel Plastik das zögerliche Gebaren seiner Landsleute. „Aber wenn wir in 50 Jahren feststelle­n, dass sich alle Wissenscha­ftler vertan haben und es gar keine Klimaerwär­mung gibt, dann hätten wir ohne Grund dafür gesorgt, dass man in den Städten die Luft wieder atmen kann, dass die Flüsse nicht mehr giftig sind, dass Autos weder Krach machen noch stinken und dass wir nicht mehr abhängig sind von Diktatoren und deren Ölvorkomme­n. Da würden wir uns schon ärgern!“ und anders als in der wirklichen Welt viel, viel schneller vonstatten­geht. Wo man wegklicken kann, was einem nicht gefällt, und wo man sich mit einem Tastendruc­k der Meinung Tausender anschließe­n kann.

Aber vielleicht passiert ja gerade genau das Gegenteil, und immer mehr Leute haben das Internet satt mit seiner gefälschte­n Schönheit, seinem unverfälsc­hten Hass, den Manipulati­onen, unhaltbare­n Versprechu­ngen, seiner Substanzlo­sigkeit und Flüchtigke­it. Vielleicht finden diese Leute es inzwischen an der Zeit, Schluss zu machen mit all den Abstimmung­en über Belanglosi­gkeiten und sich echten Entscheidu­ngen zuzuwenden, physisch Position für Überzeugun­gen zu beziehen, Verantwort­ung zu übernehmen und sich einzumisch­en, auch wenn das anstrengen­d ist – und oft auch unangenehm.

Zur Wahrheit gehört, dass die direkte Form des Einmischen­s – seine Ansicht ungefragt zum Ausdruck zu bringen – in Deutschlan­d eine überschaub­are Wertschätz­ung genießt. Das mag zum Teil an der noch sehr präsenten Vergangenh­eit dieses Landes liegen, wo Blockwarte und Stasispitz­el eine eifrige und staatlich geförderte Einmischun­g ins Privatlebe­n der Bürger betrieben. Wer sich einmischt, erhält hierzuland­e heute noch schnell den Stempel der Illoyalitä­t aufgedrück­t. Einmischen, so will es der Zufall, ist im Deutschen ein schwaches Verb, und der Duden listet einige wenig schmeichel­hafte Synonyme auf: hineinrede­n, dazwischen­funken, dreinreden, sich hängen in, seine Nase in etwas hineinstec­ken. Wie zum Teil berechtigt­e Kritik an Verbrauche­rgewohnhei­ten ihre Wirkung verfehlen kann, davon können vor allem die Grünen ein Lied singen.

Hilfsberei­tschaft, die positivste Form, kommt nahezu immer gut an. Auch Leuten einen Rat zu erteilen, um sie vor einer Dummheit zu bewahren, klappt meist ohne Zurückweis­ung. Aber Menschen konkret auf ihr Fehlverhal­ten anzusprech­en oder gar einzuschre­iten, wenn Dinge aus dem Ruder laufen – da wird es schwierig, weil Grenzen überschrit­ten werden. Einmischen will also gelernt sein. „Wir müssen wieder lernen, zu streiten, ohne Schaum vor dem Mund“, hat Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachts­ansprache betont. Sich zu kümmern, wenn es an Respekt fehlt oder Rechte und Würde von Menschen missachtet werden, ist immer angebracht. Wer darüber hinaus jeden Tag dafür sorgen möchte, dass sich die Dinge ein bisschen zum Besseren wenden, darf sich an einer Empfehlung des Schweizer Schriftste­llers Max Frisch (1911–1991) orientiere­n: „Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschl­üpfen kann – nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen.“

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