Versteck in Hösel rettete zwei Juden das Leben
Für eine Reise des Düsseldorfer Oberbürgermeisters Geisel nach Israel sollten historische Daten zusammengetragen werden. Was auch geschah. Bei seinen Recherchen allerdings traf der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Bastian Fleermann, schließlich auf Namen, die nicht direkt mit der Landeshauptstadt in Verbindung stehen.
HÖSEL Aber immerhin direkt mit seinem persönlichen Lebenskreis: Er wohnt in Lintorf und lässt keine Information links liegen, wenn sie nicht nur die Gedenkstätte, sondern auch seine Heimat betreffen.
Er stieß auf die Geschichte der Familie Rouge, die sich in Hösel in den Jahren 1944 bis 1945 um das jüdische Ehepaar Berg gekümmert hat. Für die Reise des Düsseldorfer Oberbürgermeisters war sie weniger interessant, wohl aber für die Leiterin des Ratinger Stadtarchivs, Erika Münster-Schröer. Sie nahm die Informationen auf und konnte nach einigen Nachforschungen immerhin die Meldekarten der beiden Familien in den Beständen ihres Amtes auftun. Doch die vornehme Zurückhaltung war vor 80 Jahren lebensrettend. Man weiß nicht viel, man sagt vielleicht auch nicht viel. Und alt sind die Zeitzeugen allemal.
An der Stelle aber hilft das „Lexikon der Gerechten unter den Völkern“im Kapitel über die deutschen Gerechten: „Else Rouge, die Wirtin eines kleinen Restaurants in Hösel bei Düsseldorf, gab dem jüdischen Ehepaar Arthur und Hedwig Berg, das 1942 in den Unter- grund gegangen war, Zuflucht in ihrem Haus. Rouge, deren Ehemann an der Ostfront war, begegnete den beiden zufällig 1944 im September im Wald bei Hösel bei einem Spaziergang. Die beiden erzählten ihr, dass sie obdachlos seien und nicht wüssten, wohin sie sich wenden sollten.
Else Rouge wusste nicht, wer sie waren, bot ihnen allerdings eine Unterkunft an und bat sie, sich polizeilich anzumelden – wie es Vorschrift war. Da gestanden sie ihr, dass sie Juden seien. Rouge behielt die beiden bei sich, ohne der Polizei Meldung zu machen. Und sie blieben bis zum Tag der Befreiung.“Dann aber, und zwar direkt am 20. April 1945 – dem Kriegsende in unserer Region – meldete sich das Ehepaar Berg bei der Behörde an. Zunächst unter der Adresse der Familie Rouge, dann aber am 11. September 1945, zwei Tage bevor Otto Rouge als zunächst kriegsgefangen wieder zurückgemeldet wurde – war
ihre Adresse am Rodenwald. Die Eheleute Berg kamen aus Essen, wo sie in der Dreilindenstraße ein Immobiliengeschäft, nicht weit von der Synagoge gelegen, betrieben hatten. Dieses Geschäft wurde seit 1933 boykottiert, im Jahr 1938 aufgelöst und 1939 aus dem Essener Handelsregister getilgt.
Ab da haben die Bergs vermutlich in einem so genannten Judenhaus in Essen wohnen müssen. Hier wurden auch die jüdischen Menschen gesammelt, die mit einem „deutschen“Ehepartner zusammen wa- ren, was man damals „Mischehen“nannte. (Hedwig Berg war vom christlichen zum jüdischen Glauben konvertiert.) Diese Tatsachen ließen sich unlängst noch einmal im Fernsehen an der Figur des jüdischen Gelehrten Victor Klemperer verfolgen. Während es anfänglich noch einen gewissen Schutz wegen des ursprünglich nicht jüdischen Partners gegeben hatte, half dieser Umstand in der Spätphase der Nazizeit auch nicht
mehr vor der Deportation. Im Lexikon der Gerechten wird erwähnt, dass das Risiko, das Else Rouge einging, umso größer war, als der „kleine Ort voll von Militärangehörigen und hochrangigen SS-Funktionären war, die von Oberhausen nach Hösel umgezogen waren. Außerdem war der Direktor der Krupp-Niederlassung in Hösel – ein fanatischer Nazi aus Frankfurt – in ihr Haus einquartiert worden“.
In all der Zeit hat sich Else Rouge offenbar so natürlich verhalten, dass niemand Verdacht schöpfte. Nicht einmal ihre Tochter Heidi, geboren im Januar 1938, die heute im späteren Wohnort der Familie am Bodensee lebt, kann sich an irgendetwas erinnern, was im familiären Bereich auffällig gewesen wäre. Die Anerkennung von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern wurde Else Rouge im Oktober 1978 ausgesprochen. Zu dem Zeitpunkt war das Ehepaar Berg mehrfach in Hösel umgezogen, gab es Unterlagen über den Tod von Arthur Berg im Jahr 1967. Das Grab der beiden befindet sich auf dem jüdischen Friedhof am Segeroth in Essen. Wer allerdings die Ehrung von Else Rouge betrieben hat, ist bislang nicht bekannt – ist auch nicht in allgemein zugänglichen Unterlagen – wie Zeitungen – zu finden und muss wahrscheinlich über die Gedenkstätte in Israel ermittelt werden.