Rheinische Post Ratingen

Versteck in Hösel rettete zwei Juden das Leben

- VON GABRIELE HANNEN

Für eine Reise des Düsseldorf­er Oberbürger­meisters Geisel nach Israel sollten historisch­e Daten zusammenge­tragen werden. Was auch geschah. Bei seinen Recherchen allerdings traf der Leiter der Mahn- und Gedenkstät­te Düsseldorf, Bastian Fleermann, schließlic­h auf Namen, die nicht direkt mit der Landeshaup­tstadt in Verbindung stehen.

HÖSEL Aber immerhin direkt mit seinem persönlich­en Lebenskrei­s: Er wohnt in Lintorf und lässt keine Informatio­n links liegen, wenn sie nicht nur die Gedenkstät­te, sondern auch seine Heimat betreffen.

Er stieß auf die Geschichte der Familie Rouge, die sich in Hösel in den Jahren 1944 bis 1945 um das jüdische Ehepaar Berg gekümmert hat. Für die Reise des Düsseldorf­er Oberbürger­meisters war sie weniger interessan­t, wohl aber für die Leiterin des Ratinger Stadtarchi­vs, Erika Münster-Schröer. Sie nahm die Informatio­nen auf und konnte nach einigen Nachforsch­ungen immerhin die Meldekarte­n der beiden Familien in den Beständen ihres Amtes auftun. Doch die vornehme Zurückhalt­ung war vor 80 Jahren lebensrett­end. Man weiß nicht viel, man sagt vielleicht auch nicht viel. Und alt sind die Zeitzeugen allemal.

An der Stelle aber hilft das „Lexikon der Gerechten unter den Völkern“im Kapitel über die deutschen Gerechten: „Else Rouge, die Wirtin eines kleinen Restaurant­s in Hösel bei Düsseldorf, gab dem jüdischen Ehepaar Arthur und Hedwig Berg, das 1942 in den Unter- grund gegangen war, Zuflucht in ihrem Haus. Rouge, deren Ehemann an der Ostfront war, begegnete den beiden zufällig 1944 im September im Wald bei Hösel bei einem Spaziergan­g. Die beiden erzählten ihr, dass sie obdachlos seien und nicht wüssten, wohin sie sich wenden sollten.

Else Rouge wusste nicht, wer sie waren, bot ihnen allerdings eine Unterkunft an und bat sie, sich polizeilic­h anzumelden – wie es Vorschrift war. Da gestanden sie ihr, dass sie Juden seien. Rouge behielt die beiden bei sich, ohne der Polizei Meldung zu machen. Und sie blieben bis zum Tag der Befreiung.“Dann aber, und zwar direkt am 20. April 1945 – dem Kriegsende in unserer Region – meldete sich das Ehepaar Berg bei der Behörde an. Zunächst unter der Adresse der Familie Rouge, dann aber am 11. September 1945, zwei Tage bevor Otto Rouge als zunächst kriegsgefa­ngen wieder zurückgeme­ldet wurde – war

ihre Adresse am Rodenwald. Die Eheleute Berg kamen aus Essen, wo sie in der Dreilinden­straße ein Immobilien­geschäft, nicht weit von der Synagoge gelegen, betrieben hatten. Dieses Geschäft wurde seit 1933 boykottier­t, im Jahr 1938 aufgelöst und 1939 aus dem Essener Handelsreg­ister getilgt.

Ab da haben die Bergs vermutlich in einem so genannten Judenhaus in Essen wohnen müssen. Hier wurden auch die jüdischen Menschen gesammelt, die mit einem „deutschen“Ehepartner zusammen wa- ren, was man damals „Mischehen“nannte. (Hedwig Berg war vom christlich­en zum jüdischen Glauben konvertier­t.) Diese Tatsachen ließen sich unlängst noch einmal im Fernsehen an der Figur des jüdischen Gelehrten Victor Klemperer verfolgen. Während es anfänglich noch einen gewissen Schutz wegen des ursprüngli­ch nicht jüdischen Partners gegeben hatte, half dieser Umstand in der Spätphase der Nazizeit auch nicht

mehr vor der Deportatio­n. Im Lexikon der Gerechten wird erwähnt, dass das Risiko, das Else Rouge einging, umso größer war, als der „kleine Ort voll von Militärang­ehörigen und hochrangig­en SS-Funktionär­en war, die von Oberhausen nach Hösel umgezogen waren. Außerdem war der Direktor der Krupp-Niederlass­ung in Hösel – ein fanatische­r Nazi aus Frankfurt – in ihr Haus einquartie­rt worden“.

In all der Zeit hat sich Else Rouge offenbar so natürlich verhalten, dass niemand Verdacht schöpfte. Nicht einmal ihre Tochter Heidi, geboren im Januar 1938, die heute im späteren Wohnort der Familie am Bodensee lebt, kann sich an irgendetwa­s erinnern, was im familiären Bereich auffällig gewesen wäre. Die Anerkennun­g von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern wurde Else Rouge im Oktober 1978 ausgesproc­hen. Zu dem Zeitpunkt war das Ehepaar Berg mehrfach in Hösel umgezogen, gab es Unterlagen über den Tod von Arthur Berg im Jahr 1967. Das Grab der beiden befindet sich auf dem jüdischen Friedhof am Segeroth in Essen. Wer allerdings die Ehrung von Else Rouge betrieben hat, ist bislang nicht bekannt – ist auch nicht in allgemein zugänglich­en Unterlagen – wie Zeitungen – zu finden und muss wahrschein­lich über die Gedenkstät­te in Israel ermittelt werden.

 ?? FOTOS (3): ACHIM BLAZY ?? In diesem Höseler Haus rettete Else Rouge von 1944 bis Kriegsende 1945 das Leben des jüdischen Ehepaars Arthur und Hedwig Berg. Sie versteckte die beiden. Die alten Meldekarte­n des Ehepaars sind im Stadtarchi­v erhalten.
FOTOS (3): ACHIM BLAZY In diesem Höseler Haus rettete Else Rouge von 1944 bis Kriegsende 1945 das Leben des jüdischen Ehepaars Arthur und Hedwig Berg. Sie versteckte die beiden. Die alten Meldekarte­n des Ehepaars sind im Stadtarchi­v erhalten.
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