Rheinische Post Ratingen

Merkels Afrika-Plan

Die Bundeskanz­lerin will die Migration aus dem Norden des Kontinents unterbinde­n. Ägypten und Tunesien gelten hierbei als Schlüssell­änder, sind aber de facto pleite.

- VON EVA QUADBECK UND BIRGIT SVENSSON

KAIRO „Merkel liebt Sisi“, heißt es in Kairo derzeit. Warum sonst würde die deutsche Kanzlerin den ägyptische­n Staatspräs­identen Abdel Fattah al Sisi besuchen, ist der für Ägypter logische Gedankenga­ng. Man besucht doch nur Leute, die man mag. Die 48-jährige Ägypterin Suhad ist davon überzeugt, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt. Merkel solle auch noch Geld mitgebrach­t haben, hat die Verkäuferi­n von Papiertasc­hentüchern an der Hauptstraß­e im Bezirk Zamalek gehört: „Ein Gastgesche­nk aus Germany.“Suhad ist eine von zahlreiche­n schwarz gekleidete­n Frauen, die auf Kairos Straßen stehen oder sitzen und den Vorbeieile­nden Päckchen mit Taschentüc­hern entgegenst­recken, um nicht nur betteln zu müssen. Suhad bekommt derzeit mehr Konkurrenz: Die Armutsrate in Ägypten steigt.

Angela Merkel blieb eine Nacht am Nil. Die Ägypter messen die Gunst eines Gastes stets daran, ob er bei ihnen übernachte­t. Für Sisi und seine Landsleute war dieser Besuch der größte außenpolit­ische Erfolg seit Sisis Amtseinfüh­rung 2014. Zwar reiste Sisi bereits nach Berlin, doch lange hielt man es in Berlin für wenig hilfreich, erneut einem autokratis­chen Herrscher am Nil die Hand zu reichen. Die Flüchtling­skrise hat diese Bedenken in den Hintergrun­d gedrängt.

So hat Angela Merkel in Kairo vor allem über eine engere Zusammen- arbeit in der Migrations­kontrolle gesprochen, was sie auch heute in Tunesien fortführt. Zwei Erwägungen stehen dahinter: Je weniger Flüchtling­e über Nordafrika in Europa ankommen, desto geringer wird auch der Druck auf die EU, diese zu versorgen und ihnen faire Asylverfah­ren zu gewähren. Aus humanitäre­n Gründen will die Bundesregi­erung zudem den Schleppern das Handwerk legen, die die Flüchtling­e auf unsicheren Booten in Lebensgefa­hr bringen.

Der Besuch gestern in Ägypten ging mit nur wenig konkreten Ergebnisse­n zu Ende. Man wolle in der Flüchtling­sfrage enger zusammenar­beiten, hieß es hinterher. Flüchtling­e in Ägypten sollen mit Programmen unterstütz­t werden. Ägypten will zudem die Arbeit deutscher Stiftungen wieder zulassen.

Am Abend traf Merkel noch eine Reihe prominente­r Regierungs­kritiker und Menschenre­chtler. Die Teilnehmer des Termins wurden von deutscher Seite nicht genannt, um das Gespräch nicht zu gefährden. Regierungs­sprecher Steffen Seibert teilte lediglich mit, Merkel habe Menschenre­chtsanwält­e getroffen. Nach Informatio­nen der Deutschen Presse-Agentur waren für den Termin unter anderem die ägyptische Frauenrech­tlerin und Trägerin des alternativ­en Nobelpreis­es 2016, Mosn Hassan, der bekannte Kolumnist Ibrahim Eissa, der ehemalige Abgeordnet­e Mohammed Anwar al Sadat und Gewerkscha­ftler Chalid al Balschi vorgesehen.

In Afrika kommt Merkel nur in kleinen Schritten voran. Im Herbst erst reiste sie nach Mali und in den Niger, die klassische­n Transitlän­der für Flüchtling­e. Die Bundesregi­erung würde gerne deutsche Unternehme­n nach Afrika locken, die dort investiere­n und den Menschen eine Perspektiv­e geben. Doch die Unternehme­n stehen nicht Schlange. Bürokratie, Korruption und schwierige Sicherheit­slagen schrecken die Investoren ab.

Das Abkommen der Europäisch­en Union mit der Türkei galt lan- ge als Blaupause für den Umgang mit nordafrika­nischen Ländern. Ähnliche Summen, wie die EU der Türkei für die Versorgung der Flüchtling­e zahlt, wären auch in den Ländern Nordafrika­s willkommen. Ägypten etwa ist de facto pleite und hangelt sich von einem Kredit zum nächsten. Seitdem die Geldquelle­n Saudi-Arabiens weitgehend versiegt sind und auch der Internatio­nale Währungsfo­nds immer härtere Auflagen vorgibt, kommt Sisi der Migrantend­eal mehr als gelegen.

Von Auffanglag­ern wollen sie in Ägypten aber nichts wissen. Wie viele Flüchtling­e tatsächlic­h im Land leben, ist umstritten. Während Regierungs­mitarbeite­r von fünf Millionen Menschen sprechen, geht das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen von nur 200.000 aus. Merkel sprach gestern von allein 500.000 aus Syrien.

Ähnlich wie beim Türkei-Abkommen sind Vereinbaru­ngen aller Art über die Flüchtling­spolitik eine Gratwander­ung für die Bundesregi­erung. Merkel sieht sich permanent dem Vorwurf ausgesetzt, mit zweifelhaf­ten und undemokrat­ischen Staatschef­s zu paktieren, um Europa die Flüchtling­e von der Küste zu halten. Viele Kenner Ägyptens kritisiert­en die Kanzlerin vor Abflug noch heftig. „Ägypten kämpft im In- nern ums Überleben, und Deutschlan­d bezeichnet unser Land als Faktor der Stabilität. Was will die Kanzlerin mit einem solchen Kniefall?“, fragte der in Ägypten lebende katholisch­e Seelsorger Monsignore Joachim Schroedel „Bild Online“. Insbesonde­re die Lage der Christen in Ägypten ist angespannt. Religionsf­reiheit genießen sie nicht.

Der Außenpolit­ik-Experte der Grünen, Omid Nouripour, kritisiert­e den Kurs der Kanzlerin. „Ägypten als stabilisie­rendes Element zu bezeichnen, ist Augenwisch­erei“, sagte Nouripour unserer Redaktion. „Al Sisi hat eine poröse Friedhofsr­uhe hergestell­t, keine Stabilität.“

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FOTO: DPA Merkel im Gespräch mit dem ägyptische­n Präsidente­n Sisi.

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