Rheinische Post Ratingen

Jeder Siebte ist arm

Die Armutsquot­e in Deutschlan­d hat seit der Wiedervere­inigung einen neuen Höchststan­d erreicht, sagt der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband. Zwei Rentner, die die Grundsiche­rung bekommen, erzählen aus ihrem Alltag.

- VON SUSANNE HAMANN UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/KÖLN Joachim Rönneper ist niemand, der über sein Leid klagt und andere für seine Situation verantwort­lich macht. Er nimmt es hin, dass er monatlich nicht viel Geld zum Leben zur Verfügung hat, obwohl er studiert und als angestellt­er Hauptschul­lehrer gearbeitet hat. Der 58-Jährige bezieht, nachdem er im vergangene­n Jahr krankheits­bedingt aus dem Berufslebe­n ausgeschie­den ist, so wenig Geld aus seiner Erwerbsmin­derungsren­te, dass er zu den sogenannte­n Altersarme­n gehört und aufstocken muss, damit das Geld zum Leben reicht. „Ich habe 401 Euro jeden Monat. Davon muss ich aber auch noch die Fixkosten wie etwa Internet und Strom be-

„Aber was ist das für ein Leben? Ich kann mir nichts erlauben. Nichts machen“

Hans Lautensack Rentner zahlen“, sagt Rönneper. „Viel bleibt nicht mehr übrig.“

Immer mehr ältere Menschen wie Rönneper drohen, in Armut abzustürze­n. Bei rund 550.000 Senioren deutschlan­dweit reicht die Rente nicht aus, um davon leben zu können. Sie erhalten vom Staat eine Grundsiche­rung, eine Art Sozialhilf­e für Rentner, die monatlich weniger als 781 Euro zur Verfügung haben. Der Präsident der Volkssolid­arität, Wolfram Friedersdo­rf, spricht von einer „Lawine“an Altersarmu­t. „Es ist beängstige­nd, wie mit Älteren in der Gesellscha­ft umgegangen wird.“

Nicht nur Ältere werden immer ärmer. Die Armut zieht sich in Deutschlan­d durch alle Altersschi­chten. Das geht aus dem neuen Armutsberi­cht des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbands hervor. „Deutschlan­d hat mit 15,7 Prozent Armutsquot­e leider einen neuen Höchststan­d seit der Wiedervere­inigung erreicht“, sagt der Geschäftsf­ührer des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbands, Ulrich Schneider. Demnach lagen 2015 bundesweit 12,9 Millionen Menschen unter der Grenze für Armutsgefä­hrdung. Einem extrem hohen Armutsrisi­ko ausgesetzt sind Arbeitslos­e mit einer Quote von 59 Prozent und Alleinerzi­ehende mit 43,8 Prozent. Besonders betroffen sind zudem Ausländer (33,7 Prozent) sowie Familien mit drei und mehr Kindern (25,2 Prozent). Der Anteil armutsgefä­hrdeter Rentner (15,9 Prozent) stieg innerhalb von zehn Jahren um 49 Prozent (von 10,7 Prozent).

Auch der Düsseldorf­er Hans Lautensack weiß, wie es ist, arm zu sein. Der 66-Jährige muss jede Woche mit 58 Euro auskommen – und da ist die Grundsiche­rung miteingere­chnet. „Dass es mal so kommt, hätte ich niemals gedacht“, sagt der gebürtige Leipziger. Der ehemalige Sicherheit­sbeauftrag­te hat seine Arbeit bei der Düsseldorf­er Messe nach einem Herzinfark­t im Alter von 50 Jahren verloren. „Mir fehlen deshalb neun Jahre, um die 30 Jahre Arbeitszei­t für die Rente voll zu machen – aber weiterzuar­beiten, wäre lebensgefä­hrlich gewesen.“

Armut ist im Ruhrgebiet und in Berlin am tiefsten verankert. In Nordrhein-Westfalen ist die überdurchs­chnittlich­e Armutsquot­e von 17,5 Prozent stabil geblieben. Minderjähr­ige und junge Erwachsene sind häufig betroffen, wenn sie aus ärmeren Elternhäus­ern stammen, keinen oder einen niedrigen Schulabsch­luss haben. Zwei Millionen Kinder und Jugendlich­e bekommen Hartz IV. Die Geschäftsf­ührerin des Deutschen Kinderschu­tzbunds, Cordula Lasner-Tietze, mahnt: „Aus Kindern und Jugendlich­en in Armut werden nicht selten junge Erwachsene in Armut und aus diesen wiederum arme Eltern.“

Auch Joachim Rönneper kommt nicht aus reichem Elternhaus. Das Geld sei ihm nicht in die Wiege ge- legt worden, betont der 58-Jährige. Ursächlich für seine Armut sei das aber nicht. Er hat Religion, Deutsch und Pädagogik studiert, anschließe­nd als Künstler gearbeitet. Erst spät ist er in den Beruf als Lehrer eingestieg­en, mit 43 Jahren. „Eine Verbeamtun­g war da nicht mehr drin“, sagt er. Und so sei halt eines zum anderen gekommen. Als angestellt­er Lehrer in Teilzeit habe man nicht viel verdient. Nun hat er aber noch weniger. So wenig, dass ihm kaum genug bleibt, um sich die nötigsten Grundnahru­ngsmittel zu kaufen.

Deshalb ist er zur Tafel in seinem Stadtteil gegangen. „In einem Telefonat teilte man mir aber mit, dass ich aufgrund der hohen Nachfrage bis zu zwei Jahre auf eine Lebensmitt­elmittelau­sgabe warten müsse“, betont der 58-Jährige. Zu einer anderen Tafel in seiner Stadt könne er nicht. „Denn die Kölner Hilfsorgan­isation organisier­t sich nach dem Wohnsitz und dem Stadtteil des Kunden“, sagt er.

Hans Lautensack überdeckt die Löcher und Flecken in den abgewohnte­n Möbeln in seiner Wohnung mit Handtücher­n. „Aber was ist das für ein Leben?“, fragt er. „Ich kann mir nichts erlauben. Nichts machen.“Manchmal liegt er nachts im Bett und fragt sich, wozu das alles noch? Wozu die Anstrengun­g? Wenn er alles noch mal machen könnte, wüsste er genau, was er anders machen würde: Sparen. „Ich würde, wo ich nur kann, Geld beiseite legen für später.“

Schwach ist Lautensack inzwischen, aber nicht naiv. Er weiß, dass es noch 30 Jahre so weiter gehen kann. „Am liebsten würde ich mich in ein Krankenhau­s legen. Das müsste ja auch der Staat bezahlen.“

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Joachim Rönneper auf dem Sofa in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Der 58-Jährige musste krankheits­bedingt aus dem Berufslebe­n ausscheide­n. Seine Erwerbsmin­derungsren­te ist so gering, dass er zu den sogenannte­n Altersarme­n gehört.
FOTO: ANNE ORTHEN Joachim Rönneper auf dem Sofa in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Der 58-Jährige musste krankheits­bedingt aus dem Berufslebe­n ausscheide­n. Seine Erwerbsmin­derungsren­te ist so gering, dass er zu den sogenannte­n Altersarme­n gehört.
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FOTO: SUSANNE HAMANN Hans Lautensack (66) aus Düsseldorf verlor durch einen Herzinfark­t seinen Arbeitspla­tz.

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