Rheinische Post Ratingen

Muscheln, Palmen, Sturmgeweh­re

Im Ständehaus K 21 der Kunstsamml­ung NRW ist eine Übersichts­schau des belgischen Avantgardi­sten Marcel Broodthaer­s aufgebaut.

- VON ANNETTE BOSETTI

Mit einem Weg durch Palmen hindurch beginnt auf der Piazza im Ständehaus die melancholi­sche Einstimmun­g auf die neue Ausstellun­g. Nach dem New Yorker Museum of Modern Art und einer zweiten Station im Madrider Reina Sofia ist eine Übersichts­schau von Marcel Broodthaer­s in Düsseldorf eingericht­et worden. 200 Werke unterschie­dlicher Gattungen, Räume, Installati­onen, Bilder, Poster, Fotos, Filme, Projektion­en, Objekte verweisen auf einen ungewöhnli­chen Mann, der Querkopf und ein Künstler-Künstler war, erfindungs­reich, unvergleic­hlich, eine Marke in seiner Zeit und über seine Zeit hinaus.

Man muss durch die Palmengass­e hinabsteig­en in das Souterrain des Hauses. Das passt, denn einer wie Broodthaer­s (1924-1976) untergräbt die Kunst und ihren Betrieb und setzt sie auf neue Fundamente. Als Dichter, Journalist, Sammler, Schriftste­ller und Antiquar, der er war, beschloss Broodthaer­s mit 40 Jahren, sich fortan besonders in der bildenden Kunst auszudrück­en. Er, der die Poesie als Störung von Weltordnun­g betrachtet­e, wollte seine bilder- und wortreiche Auffassung von Poesie in den Raum hinein erweitern. Er wollte die Bücher aus dem Elfenbeint­urm heraushole­n und ihre Inhalte und Wahrheiten in grauem Gips vermansche­n, sagt Anette Kruszynski, derzeit kommissari­sche Chefin der Kunstsamml­ung Nordrhein-Westfalen. Er wollte neue Fragen an die Kunst formuliere­n. Was ein Kunstwerk ausmache, interessie­rte ihn, der Kern. Und wie Kunst sich im Verhältnis zu gesellscha­ftlichen Prozessen spiegelt, wie hoch ihr Reibeffekt sein kann.

Broodthaer­s hat ein sinnliches, anspielung­sreiches ABC der Kunst entwickelt, gespickt mit Buchstaben, Worten, Fragen und Thesen – eigenhändi­g gemachte Objekte und Bilder sind in der Minderheit. Der belgische Avantgardi­st, der jung starb, lebte zwei Jahre in Düsseldorf, wo er auch ausstellte. Seine Witwe und Tochter sind als Zeitzeugen zur Ausstellun­g angereist.

Ein Raum von damals, der zwei ganze Tage lang 1972 gezeigt wurde, ist komplett wieder zu sehen. Eine Bildergale­rie von guter Malerei aller Genres hatte er aus dem Kunstpalas­t entliehen, die Ölgemälde einfach anders aufgehängt. Dieser Raum erzählt von der Bewunderun­g Broodthaer­s’ für die Malerei. Doch selten war eine Ausstellun­g so komplex und mitunter verwirrend. Zeitbezüge gilt es zu enträtseln, hunderte Wortspiele, die Nähe zum Surrealist­en René Magritte, die vielen Aufbauten und Rauminstal­lationen. Warum ist die Campingsit­zgruppe aus den 1960er Jahren mit Sonnenschi­rm an den Wänden dahinter von Gewehren flankiert?

Die Ausstellun­gsmacher haben auf Audioguide­s und Schrifttaf­eln verzichtet. Stattdesse­n bekommt der Besucher ein Begleithef­t an die Hand. 13 Stationen werden erklärt, zentral darin die Idee vom „Musée d’Art moderne“, was ein Gegenentwu­rf zum bürgerlich­en Ausstellun­gshaus darstellte. In seinem Museum war Broodthaer­s Künstler, Direktor und Kurator in einer Person. Vier Jahre lang unterhielt er das Museum auf Zeit, das als Modell diente, Deutungsho­heit zu untersuche­n.

Humorvoll und launig sind die Objekte, die Belgien im Sinn haben. Berge von Miesmusche­ln, die den Kochtopf sprengen, formt er zur Alltagssku­lptur. Geköpfte Eier reiht er rhythmisch auf Leinwände in den Nationalfa­rben. Die Kolonialge­schichte seines Heimatland­es ist nicht nur an Palmen ablesbar, ein kleines Wandobjekt zeigt die mit Pech bekleckert­e Flagge. Mit den Arbeiten aus Muscheln, Eierschale­n und Fritten wird Broodthaer­s als belgischer Ableger der Pop Art gefeiert. Für Besucher, die denkfaul sind und den Diskurs verweigern, der dem Künstler ein Anliegen war, gibt es genügend zu sehen und zu erleben.

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FOTO: ESTATE OF MARCEL BROODTHAER­S / ARS, NEW YORK / SABAM, BRÜS- Die Palmen gehören zum Konzept des Künstlers. Im K 21 weisen sie den Weg in die Ausstellun­g, die im Untergrund läuft. Objekt mit Muscheln.

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