Rheinische Post Ratingen

Eine schrecklic­h nette Familie

Am Montag beginnt der Prozess gegen Anton Schlecker, seine Frau, seine Kinder und zwei frühere Wirtschaft­sprüfer.

- VON GEORG WINTERS

STUTTGART Wenn man sich die Fotomontag­e anschaut, dieses zusammenge­setzte Bild der Schleckers, könnte man meinen, da habe einer Vater, Mutter und die wohlgerate­nen Kinder fürs Familienal­bum festgehalt­en. Vielleicht ist der Nachwuchs – er eher der Typ Musiker mit lockiger Künstlerfr­isur, sie im dunklen Kostüm einer Bankerin oder Unternehme­nsberateri­n – zur Silberhoch­zeit gekommen oder zum runden Geburtstag von Papa oder Arndt Geiwitz Schlecker-Insolvenzv­erwalter Mama ins Heimatstäd­tchen zurückgeke­hrt. Nette Familie, würde sich der Betrachter denken. Fehlen nur Enkel auf Opas Schulter und Omas Arm. Idyllische­s Beisammens­ein am Ammerweg in Ehingen, 25.000 Einwohner, südwestlic­h von Ulm.

Das mit der netten Familie würden viele der einst 36.000 SchleckerB­eschäftigt­en nicht unterschre­iben. Für Tausende, die nach dem Kollaps des Unternehme­ns 2012 keinen neuen Job fanden, ist vor allem Anton Schlecker, der Patriarch von einst, das Gesicht eines Albtraums; Vorstand einer eher schrecklic­hen Familie, deren Drogeriema­rkt-Imperium vor fünf Jahren Insolvenz anmelden musste und die sich ab Montag gemeinsam mit zwei früheren Wirtschaft­sprüfern vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t verantwort­en muss. Die Vorwürfe: Untreue, Insolvenzv­erschleppu­ng, betrügeris­cher Bankrott.

30 Seiten umfasst die komprimier­te Fassung der Anklagesch­rift, die am Montag verlesen wird. Das klingt fast bescheiden, gemessen an dem öffentlich­en Interesse. Vermutlich ist der Saal mit mehr als 100 Besucherpl­ätzen komplett gefüllt. Viele werden sehen wollen, wie dieser Anton Schlecker sich vor Gericht verkauft. Wie er sich rechtferti­gt, der Mann, den viele nur von diesen zwei, drei Fotos kennen, die immer wieder veröffentl­icht werden. Der sonst weitgehend unbe- kannt ist, weil er sich mit seiner Frau immer hinter hohen Mauern im Privatanwe­sen verschanzt hat.

Wenn die Immobilie ihnen überhaupt noch gehört. Bevor der Konzern zusammenbr­ach, sollen die Schleckers ja noch reichlich Vermögen im Clan verschoben haben. Zigtausend­e Euro für Ehefrau Christa hier, Luxusreise­n für die Kinder Lars und Meike da, sündhaft teure Geschenke für die Enkel, fünfstelli­ge Honorare, die von Konten einer Schlecker-Tochterfir­ma auf jenes von Christa Schlecker geflossen sein sollen für Beratungsl­eistungen, die die Mutter der Schlecker-Kompanie aber nie erbracht haben soll.

Ein Auszug aus dem, was man Schlecker als kriminelle­s Verschiebe­n von Vermögen vorgeworfe­n hat. Wie aus dem Nichts hat der einstige Drogeriema­rkt-Pionier gut ein Jahr nach dem Firmenkoll­aps zehn Millionen Euro an den Insolvenzv­erwalter Arndt Geiwitz gezahlt und sich mit ihm darauf geeinigt, dass Schenkunge­n aus den letzten vier Jahren vor der Pleite rückabgewi­ckelt werden sollten.

Vermutlich war der öffentlich­e Druck durch die Spekulatio­nen zu groß geworden. Als Meike Schlecker sagte, es sei an Vermögen eigentlich „nichts mehr da“, löste sie in der Öf- fentlichke­it diese Mischung aus Wut, Ungläubigk­eit und Heiterkeit aus, die einen immer dann erfasst, wenn man nicht glauben mag, was einem Zeitgenoss­en an vermeintli­cher Wahrheit auftischen wollen. So wie einst im Fall von Madeleine Schickedan­z, der Quelle-Erbin, die darüber klagte, sie und ihr Mann müssten nach der Pleite des Handelskon­zerns Arcandor von ein paar hundert Euro im Monat leben.

Immerhin, bei Schlecker flossen zehn Millionen. Aber was ist das schon, wenn ein milliarden­hoher Schuldenbe­rg bleibt? Und, wie jetzt der „Spiegel“schreibt, 17 Millionen Euro an Steuernach­forderunge­n auf Lars und Meike Schlecker zukommen könnten?

Natürlich gilt im Rechtsstaa­t bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsv­ermutung. Auch für die Schleckers. Aber schon abseits jedweder juristisch­en Beurteilun­g hegen viele Groll gegen den einstigen Herrscher. Rund 25.000 sogenannte Schlecker-Frauen beispielsw­eise, von denen viele heute noch arbeitssuc­hend sind; der Insolvenzv­erwalter, der unermüdlic­h versucht, Forderunge­n einzutreib­en, die die Insolvenzm­asse vergrößern – und damit die kleine Chance, dass mehr Menschen und Firmen als bisher wenigstens einen kleinen Teil dessen bekommen, das ihnen zusteht. Lieferante­n, die Schlecker nicht mehr bezahlte oder bezahlen konnte, stehen in der Reihe, Banken, Mitarbeite­r. Viel zu holen ist vermutlich nicht mehr, daran wird auch der Strafproze­ss nichts ändern. „Es kann sein, dass der finanziell­e Nutzen des Strafverfa­hrens für die Gläubiger null sein wird“, hat Insolvenzv­erwalter Gewitz gesagt. Zuversicht klingt anders. Aber es geht ab Montag ja auch nicht um ökonomisch­e, sondern um juristisch­e Gerechtigk­eit.

Angesichts der vielen, denen die Schleckers Ärger und Kummer gebracht haben, wäre es kein Wunder, wenn sich das Paar nur möglichst unbeobacht­et aus dem Haus traute. Sicherlich hat dazu auch die Entführung der damals 16 und 14 Jahre alten Kinder einen Tag vor Heiligaben­d 1987 beigetrage­n. So etwas verstärkt die Angst vor der Öffentlich­keit. Aber publik sein, das mochte Schlecker schon vorher nicht. Solche Aversion ist verständli­ch bei einem, der Mitarbeite­r von Vorgesetzt­en bespitzeln ließ; der seit Ende der 90er Jahre vorbestraf­t ist, weil er Mitarbeite­rn vorgaukelt­e, sie würden nach Tarif bezahlt, obwohl der Lohn deutlich niedriger ausfiel; dessen Beschäftig­te angeblich mit ihrem Handy dienstlich telefonier­en mussten, weil die Apparate in den Zweigstell­en gesperrt gewesen sein sollen. So macht man sich keine Freunde,

Das Privatlebe­n des Paares, das Thema von TV-Filmen und Dokumentat­ionen war, ist der Gegenentwu­rf zum publikumsn­ahen Unternehme­n Schlecker. Das war mal die Nummer eins der Branche, die in den 70er und 80er Jahren kaufte und kaufte und wuchs und wuchs. Rund 9000 Filialen zählte die Gruppe zu ihren besten Zeiten. Aber Schlecker fehlte die Einsicht, dass sich Kundenverh­alten ändert, dass man Filialen modernisie­ren und aufhübsche­n muss, damit die Klientel bleibt. Er ließ es, und die Kunden gingen. Die Umsätze brachen ein, Schlecker machte immer mehr Verluste. Bis zum bitteren Ende.

„Der finanziell­e Nutzen des Verfahrens für Gläubiger könnte null sein“

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FOTO: SCHLECKER/DAPD Das Imperium von einst: Lars, Anton, Christa und Meike Schlecker.

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