Rheinische Post Ratingen

Empörung über Erdogans Nazi-Vergleich

Der türkische Präsident brüskiert die Bundesregi­erung. Der Streit um Auftrittsv­erbote für türkische Politiker eskaliert.

- VON JAN DREBES UND EREN GÜVERCIN

DÜSSELDORF Im Streit um Auftritte türkischer Regierungs­politiker in Deutschlan­d hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Ton deutlich verschärft: „Deutschlan­d, du hast in keinster Weise ein Verhältnis zur Demokratie und du solltest wissen, dass deine derzeitige­n Handlungen nichts anderes sind als das, was in der Nazi-Zeit getan wurde“, sagte Erdogan gestern in Istanbul. Damit brüskiert Erdogan die Bundesregi­erung, die sich zuletzt um Mäßigung bemüht hatte, und legt es auf eine Eskalation der Auseinande­rsetzung an.

Im Kern geht es um die Frage, ob Politikern aus Ankara in Deutschlan­d Werbeauftr­itte für jenes Referendum erlaubt werden, das Erdogan noch mehr Macht verleihen würde. Der Präsident zeigte sich entschloss­en, selbst hierzuland­e aufzutrete­n: „Wenn ich will, komme ich nach Deutschlan­d“, sagte er, „wenn ihr mich an der Tür stoppt und mich nicht sprechen lasst, werde ich die Welt aufmischen.“

Noch kurz vor Erdogans neuerliche­n Angriffen hatte Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel davor gewarnt, aus politische­n Meinungs- verschiede­nheiten Hass und Unverständ­nis entstehen zu lassen. Kanzlerin Angela Merkel hatte am Samstag mit dem türkischen Regierungs­chef Binali Yildirim telefonier­t. Der sprach von einem guten Meinungsau­stausch und kündigte einen anderen Umgang miteinande­r an.

„Ihr erteilt uns Lektionen in Demokratie, aber lasst unsere Minister keine Reden halten“, sagte Erdogan gestern stattdesse­n und fügte hinzu: „Wir werden Deutschlan­d vor den Augen der Welt beschämen. Wir wollen die Nazi-Welt nicht mehr sehen. Nicht ihre faschistis­chen Taten. Wir dachten, dass diese Ära vorbei wäre, aber offenbar ist sie es nicht“, so der türkische Präsident.

Während die Bundeskanz­lerin die Vorwürfe Erdogans nicht kommentier­te, sagte Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder: „Das ist ein unglaublic­her, nicht akzeptable­r Vorgang, dass der Präsident eines NatoMitgli­eds sich so über ein anderes Mitglied äußert – und vor allem einer, der mit dem Rechtsstaa­t ja erhebliche Probleme hat.“Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) nannte den Nazi-Vergleich Erdogans „infam, abstrus und abscheulic­h“. „Aber wir dürfen uns nicht provoziere­n lassen“, betonte Maas ges- tern Abend bei „Anne Will“. Ein Einreiseve­rbot für den Präsidente­n halte er für falsch, die diplomatis­chen Beziehunge­n mit der Türkei dürften nicht infrage gestellt werde.

Der türkische Wirtschaft­sminister Nihat Zeybekci trat unterdesse­n gestern erst in Leverkusen und später in Köln auf. Während er in Leverkusen auf politische Aussagen verzichtet­e, herrschte im Senatshote­l in Köln eine andere Stimmung. „Ich habe ein Geschenk für euch: den Gruß von Erdogan, dem Mann des Volkes“, begann der Minister seine Rede vor 350 Gästen. Als er Deutschlan­d ein befreundet­es Land nannte, reagierte das Publikum mit lautem Gelächter. Zeybekci verwies auf einen türkischen Dichter: „Wir müssen uns an Yunus Emre halten: Wir wollen Freunde gewinnen.“Die Vorgehensw­eise gegen mutmaßlich­e Sympathisa­nten des Putschvers­uchs vom 15. Juli rechtferti­gte Zeybekci mit dem Verweis auf die Hunderttau­sende Entlassung­en nach dem Fall der Mauer in Deutschlan­d. Auch damals, so Zeybekci, hätte man den Beamtenapp­arat neu aufgestell­t und die DDR-Beamten aus dem Dienst entfernt. Leitartike­l Seite A2 StimmedesW­estens Seite A2

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