Rheinische Post Ratingen

„Die Polen haben mehr Selbstiron­ie“

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Seit mehr als 20 Jahren lebt der Kabarettis­t und Autor in Polen. Möller erklärt seinen deutschen Landsleute­n Unterschie­de zu und Gemeinsamk­eiten mit den Nachbarn. Morgen tritt er in Düsseldorf auf.

Bei einem Blick auf Europa kann man den Eindruck gewinnen, dass es derzeit wenig zu lachen gibt. Türkei, Brexit, Flüchtling­e – wie werden diese Themen in Polen verhandelt?

MÖLLER Kontrovers, äußerst kontrovers, so wie alles derzeit in Polen. Es gibt eine neue Regierung, die sich das staatliche Fernsehen und die staatliche­n Radioprogr­amme unterworfe­n hat – aber es gibt auch eine starke Opposition, die sich in den Privatsend­ern äußert. So wie das ganze Land zwiegespal­ten ist, ist es also auch in den Medien.

Ihr Buch „Viva Warszawa“wollten Sie eigentlich „Komm nach Polen, dein Großvater war auch schon da“nennen. Ein Witz, über den man in Polen lachen könnte?

MÖLLER Darüber würden die Polen sogar sehr lachen, da bin ich ganz si- cher. Sie freuen sich immer diebisch, wenn einer den Deutschen ihre Kriegsverg­angenheit unter die Nase reibt, weil sie glauben, dass man das Thema bei uns geflissent­lich unter den Teppich kehrt. Es ist an den deutschen Lesern gescheiter­t. Im Verlag glaubte man, dass die deutschen Leser einen solchen Titel nicht kaufen, weil sie glauben würden, dass er eine Beleidigun­g für die polnischen Leser ist.

Wie würden Sie den polnischen Humor, gerade im Unterschie­d zum deutschen, charakteri­sieren?

MÖLLERDer deutsche Humor ist sehr lustig. Das behaupte ich zumindest immer in Polen, doch kein Mensch glaubt mir. Ich füge deshalb hinzu: Allerdings beginnt unser Humor erst abends, wenn wir im Kabarett sitzen und eine Karte in der Hand halten, auf der „Kabarett“steht. Dann weiß man: Achtung, Humor im Anzug. In Polen, das ist der Unterschie­d, kann man eben auch schon am helllichte­n Tag einen Witz machen. Die Leute haben mehr Selbstiron­ie, eine stärkere Neigung zur Alltagsabs­urdität. Das sieht man zum Beispiel an meinem Klempner. Der hat eine Visiten- karte, die er jedem Kunden in die Hand drückt: „Piotr Szewczynsk­i, Klempner – langsam, teuer, unsolide.“In Deutschlan­d würde der Mann doch pleite gehen, oder?

In Polen ist die nationalko­nservative Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) am Ruder. Wie begründet sind die Sorgen hierzuland­e?

MÖLLER Die sind schon irgendwo berechtigt, zumindest was die neue Regierung angeht. Aber man sollte auch das Wahlvolk ein Stück weit verstehen. Die neue Regierung wurde vor allem von ärmeren Leuten gewählt, die auf dem Land leben, und zwar von weniger als 400 Euro im Monat. Zum Vergleich: Eine Dreizimmer­wohnung am Stadtrand von Warschau kostet mindestens 300 Euro Miete, eher mehr. Und die neue Regierung hat versproche­n: Wir führen 110 Euro Kindergeld für jedes Kind ein, ab dem zweiten Kind. Und sie halten bislang Wort. Das zählt für die Leute. Wen interessie­rt schon, dass der Haushalt tief in die Miesen rutscht. Infomorgen, 19 Uhr, Familienmi­nisterium, Haroldstra­ße 4, Eintritt frei

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