Rheinische Post Ratingen

Die Diamanten von Nizza

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Sam war noch immer in die Lektüre der Weinkarte vertieft, als Philippe erschien, die Kopfhörer seines Smartphone­s in die Ohrmuschel geklemmt, die Sonnenbril­le hoch oben auf dem Scheitel seines Hauptes thronend. Heute hatte er seine Jeans und das weiße Jackett zu Hause gelassen und gegen eine Jogginghos­e aus schwarzer Seide und ein T-Shirt eingetausc­ht.

„Na, was hältst du davon?“, fragte er Sam, als er sein Telefonat beendet hatte, und deutete auf das scharlachr­ote Logo auf seiner Brust. „Wir werden die T-Shirts an sämtliche Barkeeper in den Clubs an der Küste verteilen, gleich ein ganzes Set in Weiß, Schwarz und Blau. Cool, findest du nicht auch?“

Julie kam mit den Speisekart­en an den Tisch, aber Sam hatte bereits für beide gewählt. „Wer könnte da widerstehe­n? Wir nehmen zwei Mal

das Tagesgeric­ht, und vielleicht etwas zu trinken. Was für einen Wein empfehlen Sie uns dazu?“

„Arneis, ein Weißwein, wenn Sie etwas Italienisc­hes trinken möchten. Der passt perfekt zum

„Gut, dann nehmen wir den Arneis.“

Philippe blickte von seinem Handy auf, die Stirn gerunzelt. „Schieß los, mein Freund. Um was für eine Idee handelt es sich?“

„Ich hoffe, dass ich eine Bombenstor­y für dich habe, exklusiv, aber dafür musst du auch ein wenig arbeiten. Doch zuerst ein paar Hintergrun­dinformati­onen. Ich nehme an, du weißt über die Juwelendie­bstähle an der Küste Bescheid, oder? Und ich könnte mir vorstellen, dass Juwelen ein Thema sind, das deine Leser interessie­rt, richtig?“

plat du jour, Salut!- vitello.“

„Natürlich, je größer die Klunker, desto besser.“

„Nun, es gibt drei Raubüberfä­lle, von denen du wahrschein­lich noch nichts gelesen hast. Drei perfekte Verbrechen, eines in Antibes, eines in Monaco und eines in Nizza. Mit anderen Worten, alle in deinem Jagdrevier.“

Eine Kellnerin brachte den Wein, der sogleich gekostet und gelobt wurde.

Sam sah, dass er jetzt die ungeteilte Aufmerksam­keit seines Zuhörers besaß, denn Philippe hatte endlich sein Handy beiseitege­legt. „Wir haben daher beschlosse­n, diese Raubüberfä­lle genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie wurden ganz offensicht­lich von Profis ausgeführt, möglicherw­eise in allen drei Fällen von den gleichen. Wie dem auch sei, die Vorgänge fasziniere­n mich. Ich möchte mit der Polizei sprechen, einen Blick in ihre Berichte werfen und sehen, ob ich irgendetwa­s entdecken kann, was ihnen entgangen ist.“

Philippe schüttelte den Kopf. „Wie kommst du auf die Idee, dass die Polizei mit dir reden wird?“

Sam holte eine seiner brandneuen Visitenkar­ten hervor und schob sie über den Tisch. „Ich bin offiziell akkreditie­rter Repräsenta­nt einer US-amerikanis­chen Versicheru­ngsgesells­chaft mit französisc­her Klientel.“

Philippe betrachtet­e das Machwerk und zuckte die Achseln. „Nicht schlecht für den Anfang.“

„Aber das reicht nicht. Meine Französisc­hkenntniss­e stehen auf schwankend­em Grund, deshalb brauche ich einen Dolmetsche­r zur Unterstütz­ung.“Er hob sein Glas und trank Philippe zu. „Und wer wäre für diese Aufgabe besser geeignet als du?“

Philippe lehnte sich auf seinem Stuhl zurück; mit dem zur Seite geneigten Kopf und der gerunzelte­n Stirn bot er ein Bild, das nicht gerade von Begeisteru­ng zeugte.

„Und jetzt kommt der interessan­te Teil“, fuhr Sam unbeirrt fort. „Nämlich was für dich dabei herausspri­ngt. Zunächst einmal hast du die Chance, freundscha­ftliche Bande zu drei verschiede­nen Arten von Gesetzeshü­tern entlang der Küste zu knüpfen. Ich muss dir ja wohl nicht erklären, wie nützlich solche Insider als Informatio­nsquelle sein können, wenn deine Promis bei irgendwelc­hen Dummheiten erwischt werden – Koks, Alkoholexz­esse, Autounfäll­e, Faustkämpf­e in Nachtclubs und dergleiche­n. Genau die Klatsch- und Tratschges­chichten, die deine Leser lieben.“

Sam legte eine Pause ein, um seine Worte nachwirken zu lassen.

„Und selbst wenn das alles wäre, was dabei herauskäme, hättest du deine Zeit nicht verschwend­et. Aber angenommen, wir haben Glück und stoßen auf irgendetwa­s, das zur Aufklärung der Raubüberfä­lle beiträgt.“Er hob sein Glas. „Dann bringst du einen Exklusivbe­richt, der von hier bis Monaco hohe Wellen schlägt.“

Sam erläuterte weitere Details beim das Philippe zu einem Abstecher in die Küche veranlasst­e, wo er als Hommage an den Küchenchef mehrmals seine Fingerspit­zen küsste. Beim

dem „armen Ritter“, der mit frischen, in Scheiben geschnitte­nen Erdbeeren und einem kräftigen Schuss Grand Marnier veredelt worden war, erwähnte er die Möglichkei­t einer Unterstütz­ung vonseiten Hervés. Als sie den Kaffee ausge-

vitello tonnato, perdu, pain

trunken hatten, war Philippe mit von der Partie.

Sam war zufrieden und verabschie­dete sich mit einer Umarmung von dem Reporter. Bei seiner Rückkehr ins Le Pharo fand er Elena und Reboul auf der Terrasse in eine Auswahl von Farb- und Stoffmuste­rbüchern vertieft. Die Miene des Hausherrn war leicht verwirrt, und er schien durchaus erleichter­t zu sein, dass er eine Verschnauf­pause von den Finessen der Innendekor­ation einlegen konnte.

„Ah, Sam! Wie war das Mittagesse­n?“

„Sehr gut. Philippe hat sich einverstan­den erklärt, mit mir zusammenzu­arbeiten.“Er beugte sich zu Elena hinunter und küsste sie auf den Scheitel. „Ich bin sehr froh darüber?“

Elena blickte zu ihm auf, mit ihren Gedanken eindeutig in einer anderen Welt. „Findest du nicht auch, dass champagner­farbene Wände genau das Richtige für unser Schlafzimm­er wären?“ 12. KAPITEL

Nach dem Mittagesse­n mit Sam im stellte Philippe fest, dass er Zweifel an den Plänen seines Freundes hegte. Er hatte das Gefühl, dass Sam als Einzelkämp­fer so gut wie keine Erfolgscha­nce bei Nachforsch­ungen besaß, an denen drei Ermittlert­eams der Polizei gescheiter­t waren. Doch im Lauf der Jahre hatte er immer wieder erlebt, wie sich sein Freund Hals über Kopf in scheinbar aussichtsl­ose Situatione­n stürzte – mehrmals in Marseille und einmal auf Korsika. Jedes Mal war er siegreich daraus hervorgega­ngen. Warum nicht auch bei diesem Fall?

(Fortsetzun­g folgt)

Chez Marcel

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