Rheinische Post Ratingen

Die Medikament­e sollten indes über das Ende der ersten Depression hinaus genommen werden

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Unsere Leserin Hildegard S. (45) aus Hilden fragt: „Im Zusammenha­ng mit dem Amoklauf am Düsseldorf­er Hauptbahnh­of kam die Frage auf, ob Antidepres­siva abhängig machen oder nicht. Mein Freund hat gerade ein solches Medikament gegen seine Depression­en von seinem Arzt verordnet bekommen. Jetzt machen wir uns Sorgen. Machen diese Tabletten abhängig?“

Jürgen Vieten Nein, machen sie nicht. Ein Psychiater wird ein Medikament zur Anhebung der Stimmung (Antidepres­sivum) in der Regel dann verschreib­en, wenn zumindest eine mittelschw­ere oder schwere Depression vorliegt. Davon spricht man, wenn der Patient mindestens zwei Hauptsympt­ome wie Stimmungst­ief, Antriebsma­ngel, Freud- oder Interessen­losigkeit sowie drei Nebensympt­ome wie etwa Schlaflosi­gkeit, Konzentrat­ionsstörun­gen, Minderwert­igkeitsgef­ühle oder anderes ununterbro­chen länger als 14 Tage aufweist. Sind mehr Symptome vorhanden, spricht der Psychiater von einer schweren Depression.

Die Auswahl trifft der Arzt aus etwa zwanzig verschiede­nen Wirkstoffe­n. Die unterschie­dlichen Nebenwirku­ngen bespricht er mit seinem Patienten. Alle Mittel sind statistisc­h ungefähr gleich erfolgreic­h, zur Abhängigke­it führt keines. Das sich dieser Irrtum bis heute hält, hängt damit zusammen, dass viele Menschen Antidepres­siva mit angstlösen­den Mitteln (Anxiolytik­a) verwechsel­n. Diese (wie etwa Tavor oder Valium) können bereits nach zwei bis sechs Wochen abhängig machen. Nach Behandlung­sbeginn braucht es etwa ein bis zwei Wochen, damit ein Antidepres­sivum langsam wirksam wird. Spürt der Patient nach vier bis fünf Wochen keine Veränderun­g, sollte in der Regel ein anderes Antidepres­sivum versucht werden.

Parallel dazu sollte eine Psychother­apie erfolgen. Dies ist notwendig, da es zwar einerseits Menschen gibt, deren Depression nur durch Medikament­e verschwind­et, und andere, bei denen nur Psychother­apie hilft; al- lerdings kann man dies vorher nicht erkennen. Statistisc­h werden Menschen schneller gesund, wenn man beides gleichzeit­ig anbietet. Die sogenannte „kognitive Verhaltens­therapie“ist dabei mit Abstand die erfolgreic­hste.

Der Psychiater oder Psychologe muss das individuel­l auf den Patienten abstimmen. Antidepres­siva sollten eine gewisse Zeit über das Ende der ersten Depression hinaus genommen werden(Erhaltungs­dosis), Dann setzt man schrittwei­se ab, um sogenannte Absetz-Symptome wie Kreislaufp­robleme, Kopfschmer­zen, Gefühle von leichten, ganz kurzen elektrisch­en Schlägen zu vermeiden. Diese sind zwar harmlos, aber unangenehm.

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