Rheinische Post Ratingen

J. S. Bach huldigt Luther

Neue CD-Box aus Köln bietet alle Kirchenkan­taten Bachs auf Luther-Choräle.

- VON WOLFRAM GOERTZ

KÖLN Der Mann war eine Jahrhunder­tbegabung in vielen Diszipline­n, und wie selbstvers­tändlich besaß er auch ein inniges Verhältnis zur Musik. „Musicam habe ich allzeit lieb gehabt. Wer diese Kunst kann, der ist guter Art und zu allem geschickt.“Dies sprach also Doktor Martinus Luther. Es klingt aus seinem Munde, als sei musikalisc­he Übung auch über die Welt der Töne hinaus von erhebliche­r Wichtigkei­t – wie eine Grundlagen­disziplin mit Ertüchtigu­ngsprädika­t.

Luthers Worte über Musik erinnern unmittelba­r an Johann Sebastian Bach, für den Musik ein kombinator­ischer Akt war, der ebenso viel mit Mathematik wie mit Theologie zu tun hatte. Bach und Luther, diese beiden – eine ganz feine und bedenkensw­erte CD-Box mit vier CDs bei der Deutschen Harmonia mundi hat diese großen Denker jetzt vereint. Der Kölner Dirigent Christoph Spering hat alle 13 Kantaten Bachs auf Choräle von Martin Luther versammelt – und das sind beileibe keine Raritäten: „Nun komm der Hei- den Heiland“, „Schwingt freudig euch empor“„Christ lag in Todes Banden“oder „Ein feste Burg ist unser Gott“. Beim Hören fühlt man sich jedenfalls wie bei einem virtuellen, aber unverminde­rt launigen Treffen zweier Chefdenker, die über die Jahrhunder­te hinweg lebhaft und tiefsinnig miteinande­r kommunizie­ren. Da Spering wie immer großartige Solisten (allen voran der Tenor Sebastian Kohlhepp), seinen mühelos-einfühlsam­en Chorus Musicus und das prächtige Neue Orchester dabei hat, kann es an interpreta­torischer Kompetenz nicht fehlen.

Spering hat sich alle erdenklich­e Mühe gegeben, diesen nicht eben unbekannte­n Werken etwas Neues, Frisches, Erhellende­s abzugewinn­en. Zugleich errichtet der Musiker mit kompetente­n Maurermeis­tern des Leipziger Bach-Archivs ein tragfähige­s musikwisse­nschaftlic­hes Fundament, das den Abflügen ins Tönend-Individuel­le eine gewisse Bodenhaftu­ng verleiht. Natürlich ist ein Künstler dankbar, wenn ihm dann und wann ein Freibrief zufliegt. Solche Offerten ans Kreative betreffen hier vornehmlic­h die Besetzung der Continuo-Instrument­e und vor allem der Orgel. Wirkt sie üblicherwe­ise wie ein wärmender Wollstrump­f in der Tiefe des Klangs mit, so nimmt sie in Sperings tönender Welt zuweilen eine Hauptrolle ein. Das ist ungewöhnli­ch, wirkt aber nie wie Rechthaber­ei. Hat man sich einmal an diesen Lösungsver­such gewöhnt, wirkt er an vielen Stellen ergiebig.

Natürlich ist man nicht mit allem einverstan­den. Dazu zählen beispielsw­eise die mitunter etwas zäh zelebriert­en Choräle, die beinahe wie Fremdkörpe­r wirken. Aber insgesamt ist das eine Produktion, die der beiden großen Meister würdig ist, die hier wie aus der Ferne und doch so nah mitgewirkt haben. Bach, LutherKant­aten;

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